Ein Arzt erklärt einem MS-Patienten am Bildschirm MRT-Bilder des Gehirns.

Vorstellung zur Zweitmeinung

Bei mir stellen sich häufig Patienten vor, die eine Zweitmeinung wünschen – entweder in Eigeninitiative oder auch auf Veranlassung ihres behandelnden Neurologen oder Hausarztes. Die Zweitmeinung ist ein wichtiges und sinnvolles Instrument, und auch politisch gewollt. In meiner Sprechstunde geht es dementsprechend häufig um die Beratung im Hinblick auf eine spezifische Therapie, aber fast genauso häufig auch um die Frage, ob die Verdachtsdiagnose einer Multiplen Sklerose korrekt ist oder nicht. Nicht selten bin ich dann aber erstaunt, wie unzureichend dieser „wichtige“ Termin vorbereitet ist. Daher ein paar Anmerkungen dazu.

Die Diagnose einer Multiplen Sklerose ist in der Regel nicht außergewöhnlich schwierig – insbesondere dann nicht, wenn man grundlegende Regeln beachtet. Auf der anderen Seite gibt es schon auch Fallstricke, über die auch erfahrene Neurologen stolpern können. Ich nehme mich da selbst nicht aus.

Zweitmeinung zur Diagnose MS: gut vorbereiten

Das Problem ist, dass es für die MS-Diagnose keinen definitiven Test gibt. Die Diagnose beruht viel mehr auf der Berücksichtigung vieler diagnostischer Test, die sich dann zu einem passenden „Gesamtbild“ zusammenfügen, ähnlich einem Puzzle. Dabei muss nicht jedes Teil „passen“, aber der Gesamteindruck sollte stimmen.

Symptomatik

Ein wichtiger Aspekt – vielleicht sogar der wichtigste – für die Diagnose einer MS ist die klinische Manifestation der Symptome. Typische Symptome der MS (als Ausdruck der zentralen Demyelinisierung) sind z.B. die einseitige Optikusneuritis, eine partielle Rückenmarkssymptomatik (partielle Myelitis transversa), eine Blasenstörung oder ein Lhermitte-Zeichen – nicht unbedingt typisch sind hingegen unspezifische Muskel- oder Gelenkbeschwerden, intermittierende (kurz dauernde) Symptome oder diffuse Schmerzen. Dementsprechend ist eine erneute sorgfältige Anamnese der Erstsymptomatik für eine Zweitmeinung von großer Bedeutung. Daher sollte man sich als PatientIn nicht wundern, wenn noch einmal exakt nachgefragt wird, welche Symptome der Auslöser für eine weitergehende Diagnostik mit MRT und Lumbalpunktion waren. Hierbei bitte nicht auf die Briefe verweisen („steht doch da alles“) oder wiederholen, was der zuvor behandelnde Arzt gesagt hat, sondern genau schildern, was man selbst verspürt und empfunden hat. Auch die zeitliche Abfolge von Symptomen und ihre Dynamik ist wichtig. Auf diese Fragen sollte man sich auch etwas vorbereiten.

MRT

Neben der klinischen Präsentation ist die MRT eines der wichtigsten Diagnose-Werkzeuge. Mit der MRT wird heutzutage das wesentliche Charakteristikum der Multiple Sklerose – nämlich die örtliche und zeitliche Dissemination (Symptome zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten des ZNS) – nachgewiesen. Bei der Beurteilung des MRT kommt es daher nicht alleine auf das Vorhandensein von Läsionen („weißen Flecken“) an, sondern es ist auch entscheidend, wie diese Läsionen aussehen und wie genau sie konfiguriert sind. Typisch für entzündliche Läsionen ist ihre periventrikuläre oder juxtakortikale Lage – auch das Vorhandensein sog. infratentorieller Läsionen und Läsionen im Rückenmark sind für die Diagnosestellung von Bedeutung. Daher ist es bei einer Zweitmeinung absolut entscheidend, nicht nur den schriftlichen Befund des Radiologen zu lesen, sondern die Bilder auch selbst anzusehen. Daher sollten PatientInnen zu einer Zweitmeinung die Originalaufnahmen mitbringen – oder zumindest einen aktuellen QR-Code, um die Originalaufnahmen abzurufen. Klingt irgendwie logisch, wird aber ziemlich häufig vergessen.

Liquorbefund

Auch der Liquorbefund (Nervenwasser) spielt für die Diagnose einer MS eine wichtige Rolle, denn mit dieser Methode kann die ZNS-Entzündung direkt nachgewiesen werden. Für den Nachweis einer chronischen Entzündung schaut man daher gerne auf das Vorhandensein der sog. oligoklonalen Banden (OKB). Diese Untersuchung dauert häufig etwas länger als der Rest der Liquorbefundung und steht daher auch häufig nicht in den „vorläufigen Arztbriefen“, die den PatientInnen z.B. nach einem Klinikaufenthalt mitgegeben werden. Hier findet sich dann häufig nur die Zeile „OKB noch ausstehend – Befund wird nachberichtet“. Daher ist es sinnvoll, sich vor einer Zweitmeinung zu vergewissern, dass man die endgültigen Befunde mitbringt. Am besten ist es natürlich, wenn mir zur Beurteilung der gesamte Originalbefund vorliegt – denn es sind ja nicht nur die OKB, die eine Entzündungsreaktion anzeigen – die Zellzahl im Nervenwasser und die spezifischen Eiweißwerte können ebenfalls für die Diagnosestellung herangezogen werden.

Nicht selten stellen sich PatientInnen auch gerade deswegen zur Zweitmeinung vor, weil sich keine OKBs im Liquor finden. Das kann vorkommen – ca. 5 % der MS-Betroffenen zeigen keine Banden – und spricht auch nicht gegen die Diagnose, wenn der Rest der Befunde schlüssig ist. Hier sei noch einmal an den Vergleicht mit dem Puzzle erinnert.

Es zeigt sich aber auch an dieser vergleichsweise „einfachen“ Frage, wie wichtig die Vorlage kompletter Unterlagen mit Original-MRT und Liquorbefunden ist. Ob eine Vorstellung zur Zweitmeinung erfolgreich ist, hängt daher auch davon ab, wie gut der Besuch vorbereitet ist und dass alle relevanten Unterlagen vorliegen.

Viele MS-Betroffene führen im Übrigen die Unterlagen zu ihrer Erkrankung absolut vorbildlich, auch das möchte ich hier erwähnen. Aber manchmal wundere ich mich auch darüber, wenn wichtige ärztliche Dokumente nur zerknittert und ungeordnet aus zerfledderten brauen Umschlägen geholt werden. Diese Dokumente sind nämlich mindestens so wichtig wie die Fahrzeugpapiere – die meist sorgfältiger geordnet sind als die medizinischen Unterlagen.

Auch interessant: „Wie mache ich mich fit fürs Arztgespräch?“ – Chatprotokoll der AMSEL.
Und: „Gebrauchsanweisung für den Arztbesuch“ – Tipps von Prof. Mathias Mäurer.

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