Todesfälle im Zusammenhang mit Pregabalin

Derzeit erregen Meldungen aus Großbritannien die Gemüter. Anlass sind Daten der britischen Statistikbehörde, nach denen in den Jahren 2018 bis 2022 zunehmend Todesfälle im Zusammenhang mit der Einnahme von Pregabalin aufgetreten sind.Pregabalin (auch bekannt unter dem Markennamen Lyrica®) ist eines der am häufigsten verordneten Arzneimittel in Deutschland. Es ist zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen, als Zusatztherapie bei partiellen epileptischen Anfällen sowie bei generalisierter Angststörung zugelassen.

Pregabalin in der symptomatischen Therapie

Aufgrund seiner sehr guten Wirkung bei neuropathischen Schmerzen wird Pregabalin häufig als symptomatische Therapie bei MS eingesetzt. Vor allem wenn Betroffene unter quälenden Missempfindungen und Schmerzen leiden, die den Alltag einschränken und die Lebensqualität beeinträchtigen. Hier kann die Verordnung von Pregabalin enorm hilfreich sein. Darüber hinaus ist das Medikament auch beliebt, weil es kaum Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen hat. Die Substanz wird schnell und linear resorbiert, kaum verstoffwechselt wird und nahezu unverändert mit dem Urin ausgeschieden.

Macht Pregabalin abhängig?

Allerdings wird – trotz in der Regel guter Verträglichkeit – seit einigen Jahren ein mögliches Abhängigkeitsrisiko bei Einnahme von Pregabalin diskutiert. In der Literatur finden sich epidemiologische Studien und Fallserien zum Abhängigkeitspotenzial von Pregabalin, wobei hier Dosierungen berichtet wurden, die deutlich über den empfohlenen therapeutischen Dosen lagen. Problematisch ist vor allem die Kombination von Pregabalin mit Drogen oder anderen Medikamenten. Das Risiko für schwere Neben- und Wechselwirkungen steigt bei gleichzeitiger Einnahme insbesondere von Opiaten, aber auch von Benzodiazepinen und Alkohol deutlich an. So konnten Studien, die Todesfälle im Zusammenhang mit sog. Gabapentinoiden (wozu auch Pregabalin gehört) untersucht haben, zeigen, dass bei über 90% der Fälle ein gleichzeitiger Gebrauch von Opiaten nachweisbar war. Nur bei einer niedrigen einstelligen Patientenzahl konnte die Todesursache einer alleinigen Intoxikation mit Gabapentinoiden zugeordnet werden. Zudem wurde nur bei einem kleinen Teil der untersuchten Fälle Pregabalin ärztlich verordnet.

Vor diesem Hintergrund muss man die Zahlen der britischen Statistikbehörde insofern differenzierter betrachten, als dass die reine Assoziation von Todesfällen mit der Einnahme von Pregabalin nicht mit einem kausalen Zusammenhang gleichzusetzen ist. Zum einen wird in den letzten Jahren ein kontinuierlicher Verordnungszuwachs von Pregabalin verzeichnet, was einen Beitrag zu den steigenden Zahlen leistet. Zum anderen werden Gabapentinoide häufig als „Beikonsum“ bei tödlichen Überdosierungen von Drogen nachgewiesen. Ob Gabapentinoide hier eine kausale Rolle bezüglich der Letalität spielen, ist bisher nicht geklärt.

Pregabalin und Opioidmissbrauch

Anhand der vorliegenden Daten kann man davon ausgehen, dass das Risiko einer Pregabalinabhängigkeit bei Personen besonders hoch ist, die Opioide missbräuchlich anwenden. In dieser Gruppe wird die Prävalenz einer Pregabalinabhängigkeit auf bis zu 68% geschätzt. Daher ist es sicherlich nicht sinnvoll, vor dem Hintergrund der aktuellen Zahlen ein Verbot von Pregabalin zu fordern. Denn das würde bedeuten, vielen Patienten den Zugang zu einem wirksamen und hilfreichen Medikament zu verwehren, wenn es indikationsgerecht verschrieben und bestimmungsgemäß eingesetzt wird.

Die aktuellen Zahlen sollten aber dazu beitragen, Verordnungen von Pregabalin kritisch zu reflektieren und auf Zeichen von Missbrauch (wie z.B. selbstständige Dosissteigerungen) zu achten. Insbesondere bei Patienten mit Drogenmissbrauch in der Vorgeschichte ist große Vorsicht geboten.

Pregabalin nicht ohne ärztliche Rücksprache absetzen

Ich möchte am Schluss noch appellieren, dass MS-Patienten, die jetzt aufgrund der aktuellen Medienberichte verunsichert sind, Pregabalin nicht ohne ärztliche Rücksprache absetzen. Denn bei bestimmungsgemäßem Gebrauch handelt es sich nach wie vor um ein hochwirksames Medikament – und eine Abhängigkeit bei nicht suchtkranken Personen ist selten.

2 Kommentare

  1. Lyrica/Pregabalin ist halt tatsächlich (wie auch jede Menge andere Neuroleptika/Schmerzmittel) seit längerer Zeit ein größeres Thema im Bereich Substanzmissbrauch. Sprich: die Pillen bekommt man auch ohne Rezept/Indikation beim Dealer des Vertrauens, und von daher ist die Wahrscheinlichkeit von Todesfällen in Folge von kritischem Konsum/Mischkonsum natürlich ein ganzes Stück höher als beim Einsatz im medizinischen Einsatz als verordnetes Medikament.

    Danke also an Dr. Mäurer für diese fachliche Reflektion des Themas

  2. Soweit mir bekannt ist, ist Lyrika ein recht potentes Schmerzmittel bei Nervenschmerzen. Alle, die darunter leiden, sind froh und glücklich über Linderung dieser Beschwerden. Dass Lyrika eine gewisse Abhängigkeit erzeugen kann bzw. im Anwendungszeitraum aufdosiert werden muss, um noch erwünschte Wirkung zu zeigen, wurde bereits früher diskutiert und durchaus auch beschrieben. Abgesehen davon kommt Lyrika auch mit Nebenwirkungen wie u. a. Müdigkeit daher, die für fatiguegeplagte Menschen zusätzlich belastend ist. Dass sich daher Patienten nach Alternativen umsehen, ist für mich nur allzu verständlich. Hier kann bspw. der Mollii Suit noch mal angeführt werden, der wohl im Idealfall auch Nervenschmerzen reduzieren kann (will das Fass aber nicht erneut aufmachen. Es erklärt aber, warum Patienten das versuchen wollen).

    Selbstverständlich können viele Präparate Menschen zu Überdosierungen verleiten, die tödlich enden können. Ich halte die derzeitigte Berichterstattung zum Thema auch für überzogen und effektheischerisch.

    Aber Herr Prof. Dr. Mäurer- gestatten Sie mir einen wichtigen Einwand: Patienten sind heute informierter und in der Therapie selbstbestimmter als früher. Daher scheint es aus der Zeit gefallen, wenn sie angehalten werden, Schmerzmittel nicht ohne Rücksprache mit ihrem Arzt abzusetzen (Ihr letzter Hinweis). Ein Facharzttermin geht mit wochen- bis monatelangen Wartezeiten einher. Wenn also ein Patient/ eine Patientin für sich und seinen/ ihren Körper eine Entscheidung zum Absetzen trifft, dann sollten Mediziner das akzeptieren. Denn aushalten müssen das immer alles die Patienten und nicht ihre betreuenden Ärzte. Und auch die, die lieber kiffen statt Lyrika zu nehmen, müssen akzeptiert werden. Es ist IHR Leben, mit dem SIE zurechtkommen müssen.

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