ECTRIMS 2023 in Mailand – „We are halfway home, but we are not all the way there”

Die diesjährige Jahrestagung des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) fand vom 12. bis 14. Oktober in Mailand statt. Dieser bedeutendste wissenschaftliche MS-Kongress erörtert die wichtigsten Fragen zur Therapie und Diagnostik der Multiplen Sklerose und skizziert die zukünftigen Herausforderungen für die Behandler. Eine Standortbestimmung ermöglicht in der Regel die Eröffnungsvorlesung – die traditionelle ECTRIMS Lecture.

Diese Vorlesung wurde von Stephen Hauser von der University of California San Francisco (UCSF) gehalten. Prof. Stephen Hauser steht wie kein anderer klinischer Wissenschaftler für die Etablierung der B-Zell-depletierenden Therapien in der Behandlung der Multiplen Sklerose. Diese Medikamente gelten derzeit als eines der wirksamsten Behandlungskonzepte für die schubförmige MS, konnten aber auch erste Erfolge bei der Behandlung der chronisch progredienten Krankheitsphase verbuchen.

Komplette Kontrolle der MS?

Stephen Hauser sieht die MS als ein Beispiel für eine maßgebliche Erfolgsgeschichte der molekularen Medizin und stellte seinen Vortrag unter das Motto „We are halfway home, but we are not all the way there” (frei übersetzt: Wir sind auf halbem Weg nach Hause, aber wir sind noch nicht ganz am Ziel) – eine durchaus ermutigende Aussage.

Sein Vortrag gliederte sich in die Besprechung von drei wesentlichen Grundsätzen bei der Behandlung von MS-Patienten und Patientinnen, die aus meiner Sicht durchaus richtungsweisend und bemerkenswert sind. Der erste Grundsatz lautet „earlier is better“ („früher ist besser“). Stephen Hauser sieht eine absolute Notwendigkeit einer frühen und möglichst effizienten Therapie. Gestützt auf verschiedene klinische Studien legt er dar, dass die Wahrscheinlichkeit einer bestmöglichen, möglicherweise sogar kompletten Kontrolle, umso größer ist, je früher im Krankheitsverlauf interveniert wird. Eine Sichtweise, die ich ja auch immer wieder in meinen Beiträgen vertrete.

EBV-Antikörper als Biomarker für MS?

Dies setzt aber voraus, dass das Risiko, eine Autoimmunreaktion gegen das ZNS zu entwickeln und damit an MS zu erkranken, möglichst früh erkannt wird. Hier ist es von Interesse (in Analogie zu anderen Autoimmunerkrankungen) Serumantikörper zu identifizieren, die auf eine mögliche spätere Autoimmunerkrankung hinweisen. Erste Analysen deuten demnach darauf hin, dass bestimmte Antikörper gegen Oberflächenproteine des Epstein Barr Virus (EBV) als ebensolche Biomarker dienen könnten. Deren Identifizierung z.B. innerhalb von Risikogruppen könnte dann eine noch frühere und damit effizientere Therapie erlauben.

Auf dieser Grundlage stellt Stephen Hauser dann die These auf, dass er MS für „heilbar“ hält – wobei er einschränkend sagt, dass „Heilung“ definiert werden muss. Man kann sicherlich zu dieser Aussage ambivalent stehen, es steht aber außer Frage, dass er damit ein Ziel definiert, an dem sich neue Therapieoptionen messen lassen müssen.

Da die zellulären Treiber der MS aber sehr heterogen sind, so seine dritte These, wird der Weg zur kompletten Krankheitskontrolle bzw. Heilung der MS nur durch eine differenzierte Beeinflussung der individuell unterschiedlichen zellulären Treiber möglich sein – und das erfordert zwangsläufig neue Therapiekonzepte, die über eine reine (periphere) Entzündungshemmung hinausgehen.

Dynamische Therapie-Entwicklung, auch für progrediente MS

Vor diesem Hintergrund war es dann spannend, in den verschiedenen wissenschaftlichen Sitzungen zu hören, auf welchen neuen Entwicklungen die Hoffnungen liegen. Einen großen Raum nehmen verständlicherweise die sog. BTKi (Bruton Tyrosin Kinase Inhibitoren) ein, die derzeit von verschiedenen Unternehmen in klinischen Studienprogrammen, auch bei progressiver MS, getestet werden. Spannend sind auch Studienprogramme zu Simvastatin, alpha-Liponsäure, Vidofludimus, N-acetyl cystein und sog. RIPK1 Inhibitoren, die darauf abzielen, die progressive Neurodegeneration, die wahrscheinlich die größte Herausforderung für die MS-Therapie darstellt, zu bremsen oder gar zu verhindern.

Darüber hinaus wird es wahrscheinlich auch von Bedeutung sein, die Entwicklung von CAR-T-Zellen zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen zu beobachten – glaubt man den Experten, besitzt diese hoch individualisierte Form der Immuntherapie auch für die MS ein großes Potential.

Insgesamt war es somit ein ermutigender Auftakt der diesjährigen Tagung, der Hoffnung macht, dass die dynamischen Entwicklungen zur Bekämpfung des Krankheitsbildes Multiple Sklerose weitergehen.

Ein Kommentar

  1. Was halten Sie vom Vortrag von Dr. Thomas Berger (Wien) in Mailand: https://s3.eu-central-1.amazonaws.com/m-anage.com.storage.congrex/abstracts_ectrims2023/148347.pdf ?

    Ich finde das bzgl. der EBV-Stämme und der Gen-Varianten sehr spannend, finde aber nirgendwo Näheres dazu, auch nicht bei den Pressemitteilungen der Uni Wien, nur hier: https://multiplesclerosisnewstoday.com/news-posts/2023/10/18/ectrims-2023-new-research-may-explain-link-ebv-ms-development/?utm_source=MS&utm_campaign=96bb8f7249-RSS_EMAIL_CAMPAIGN&utm_medium=email&utm_term=0_b5fb7a3dae-96bb8f7249-73757306.

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