Das Thema Ernährung ist ein Dauerbrenner bei Multipler Sklerose. Klar, essen müssen wir alle – und der Gedanke, dass die Dinge, die wir täglich zu uns nehmen, Auswirkungen auf unserer Gesundheit haben, ist absolut plausibel. Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch genügend Evidenz, dass die sog. „western diet“ ein Risikofaktor für Autoimmunerkrankungen darstellt. Kohlenhydrat- und fettreiche Ernährung führt zudem zu Fettleibigkeit, die nicht nur ein Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen darstellt. Sie kann auch die Entstehung von Autoimmunerkrankungen begünstigen. Daher ist es nachvollziehbar, dass sich MS-Betroffene Gedanken um ihre Ernährung machen. Und es ist zu begrüßen, wenn sich seriöse Wissenschaftler dieser Themen annehmen und die Auswirkungen von bestimmten Ernährungsbestandteilen auf das Immunsystem untersuchen und dazu publizieren.
Es gibt keine MS-Diät
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es zwar viele interessante Forschungsdaten gibt und damit auch ein wichtiger Wissenszuwachs generiert werden konnte, es auf der anderen Seite aber auch weiterhin keine plausible „MS Diät“ gibt, mit der die menschliche MS Erkrankung zuverlässig moduliert werden kann. Es bleibt bei den allgemeinen und sinnvollen Ernährungsempfehlungen, die man jedem Menschen unabhängig von spezifischen Erkrankungen nahelegen würde:
- Eine ausgewogene Ernährung mit ausreichender Flüssigkeitszufuhr,
- Reduktion von tierischen Fetten zu Gunsten von pflanzlichen Fetten und Ölen,
- Reduktion von Fleischmahlzeiten,
- Gebrauch von Vollkornprodukten,
- Gemüse-und Obstreiche Mahlzeiten –
- und vor allem nicht mehr Kalorien zuführen als man verbraucht, um einer Adipositas vorzubeugen.
Das alles wird auch gerne unter dem Stichwort „mediterrane Ernährung“ zusammengefasst und das ist weiterhin der aktuelle Standard der Ernährungsempfehlung bei MS. Daran ändert auch die kürzlich erschienene Arbeit von Engel et al. nichts (Ther Adv Neurol Disord 2023, Vol. 16: 1–12).
In dem Kooperationsprojekt der Mainzer und Münsteraner Arbeitsgruppen wurde untersucht, wie sich eine Weizen-reduzierte Diät auf bestimmte Parameter der zellulären Immunität bei MS-Patienten auswirkt. Die Forschungsgruppen konnten zuvor zeigen, dass das Protein Amylase-Trypsin-Inhibitor (ATI), das im Weizen in höherer Konzentration enthalten ist als in anderen Getreidesorten, proinflammatorische Effekte im Tiermodell der MS zeigt. Der primäre Endpunkt der Studie war wie gesagt kein klinischer Endpunkt, sondern ein Laborparameter: Die Anzahl sog. proinflammatorischer T-Zellen. Allerdings wurden auch klinische Parameter, wie Schubrate und EDSS-Progression sowie die Lebensqualität (gemessen mit dem SF-36 Fragebogen) als sekundäre Studienendpunkte untersucht.
Pilotstudie zu Weizen-reduzierter Diät
Insgesamt wurden 16 MS-Patienten zwischen 18 und 60 Jahre, die stabil auf eine immunmodulatorische Therapie eingestellt waren, über 6 Monate in einer offenen Cross-over Studie untersucht. Cross-over Design bedeutet, dass in den ersten 3 Monaten die eine Hälfte der Studiengruppe die Weizen/ATI-reduzierte Diät erhalten hat und die andere Hälfte sich normal ernährt hat – nach 3 Monaten wurde getauscht. Die Zuteilung zu den Studiengruppen erfolgte nach Zufallsprinzip (randomisiert), allerdings wussten die Studienteilnehmer welche Diät sie zu sich nehmen (offenes Design).
Der primäre Studienendpunkt wurde nicht erreicht. Die Weizen-/ATI-reduzierte Diät zeigte keinen Effekt auf die Zusammensetzung des T-Zell Pools, es konnte keine Reduktion pro-inflammatorischer T-Zellen gezeigt werden. Auch bei den klinischen Parametern zeigten sich keine Unterschiede, wobei die Studiendauer dafür auch zu kurz angesetzt war. In der Subskala „Schmerz“ des Lebensqualitätsfragebogens konnte ein Vorteil für die Weizen-/ATI-reduzierte Diät nachgewiesen werden. Allerdings muss man bei einer offenen Studie sehr vorsichtig mit der Bewertung subjektiver Outcome-Parameter sein, da die positive Erwartungshaltung einen großen Effekt haben kann. Schließlich hat eine Untersuchung an 16 Patienten, die zudem noch unterschiedlich immunmodulatorisch behandelt wurden, allenfalls einen Pilotcharakter – so bezeichnen die Autoren ja auch selbst ihre Studie.
Studienergebnisse haben keine Auswirkungen auf Ernährungsempfehlung MS-Kranker
Eine Pilotstudie ist eine explorative Voruntersuchung, die zur Entwicklung von Theorien und Hypothesen beitragen soll. Anhand der Ergebnisse kann dann entschieden werden, ob die Pilotstudie die Annahme (in diesem Fall: Weizenarme-Diät reduziert Entzündungszellen) bestätigt und damit rechtfertig, dass eine größere Studie (das eigentliche Projekt) in Angriff genommen werden sollte. Das war hier nicht der Fall, und daher würde ich auch bezweifeln, ob es sich wirklich lohnt, mehr Energie in die Untersuchung der Auswirkungen einer Weizen-armen Diät zu stecken. Und damit wäre eigentlich auch beantwortet, ob die Studienergebnisse irgendeine Auswirkung auf die Ernährungsempfehlungen von MS-Patienten haben wird: Die Antwort ist „Nein“ -es ist sicherlich auch weiterhin kein Problem, Produkte auf der Basis von Weizenmehl zu sich zu nehmen.
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Mäurer, ich möchte ebenfalls wissen, wie ihre Aussagen mit den veröffentlichten Ergebnissen des UK Mainz zusammenpassen? In diversen seriösen Medien (z.B. Doku des SWR) wurden anderslautende Aussagen getroffen. Handelt es sich um eine andere Studie? Kann die Studie unterschiedlich interpretiert werden?
Hallo, vielen Dank für den Beitrag. Auf der Website (um-mainz.de) lese ich zu der Cross-Over Studie folgendes: „Ebenso konnten weniger entzündliche Immunzellen in ihrem Blut gemessen werden.“ In diesem Beitrag schreiben Sie: „Der primäre Studienendpunkt wurde nicht erreicht. Die Weizen-/ATI-reduzierte Diät zeigte keinen Effekt auf die Zusammensetzung des T-Zell Pools, es konnte keine Reduktion pro-inflammatorischer T-Zellen gezeigt werden“. Wie passt das zusammen? Vielen Dank im Voraus für die Rückmeldung.