Überlegungen zum Placeboeffekt

Die Diskussion zu meinem Text über den Mollii Suit Ende letzten Jahres waren interessant. Nach Veröffentlichung des Textes sind auch einige meiner Patienten auf mich zugekommen und haben mir Videos von ihren positiven Erfahrungen mit dem Produkt gezeigt, auch um mich von der Wirkung des Devices zu überzeugen.Mir hat das mal wieder vor Augen geführt, wie wichtig es ist, immer wieder an die Grundsätze einer guten wissenschaftlichen Praxis zu erinnern – für die ich stehe und auf die Sie sich bei den DocBlog Texten verlassen können: Ich darf erst dann von einer spezifischen Wirkung einer Intervention (wie z.B. dem Mollii Suit) ausgehen und eine Wirksamkeit auch erst dann kommunizieren, wenn ich diese Intervention in einem kontrollierten Versuchsaufbau untersucht habe und dort einen positiven Wirkungsnachweis erbringen konnte. Einzelfallberichte sind interessant und können zur Hypothesengenerierung beitragen, sie sind aber kein geeignetes Mittel für einen wissenschaftlich gültigen Wirkungsnachweis.

Der Placeboeffekt

Die Forderung nach einer wissenschaftlichen Herangehensweise hat mit dem Placeboeffekt zu tun, der sehr wirkmächtig sein kann und daher durch einen geeigneten Versuchsaufbau ausgeschlossen werden muss. Unter dem Placeboeffekt versteht man die positiven Veränderungen der Gesundheit oder des Wohlbefindens einer Person, wenn sie ein Placebo, also eine eigentlich wirkungslose Substanz/Intervention erhält.

Diesen Effekt mit „Einbildung“ gleichzusetzen – wie es manchmal getan wird – greift aber deutlich zu kurz. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass die Erwartungen, Überzeugungen und die psychologische Einstellung einer Person einen erheblichen Einfluss auf die Wirksamkeit von Placebos haben und dass Placebos physiologische Veränderungen hervorrufen können. Neurobiologische Studien haben z.B. gezeigt, dass der Placeboeffekt mit Veränderungen im Gehirn, insbesondere in Regionen, die mit Schmerzempfindung und Belohnung verbunden sind, einhergeht. Es handelt sich also keineswegs um Einbildung, sondern um die einzigartige menschliche Fähigkeit, sich sozusagen an der „körpereigenen Apotheke“ zu bedienen – so formuliert es die Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Bingel vom Universitätsklinikum Essen, die intensiv zur Placebo-Wirkung forscht. Auf einen Beitrag von 3sat, der das Gesagte sehr schön zusammenfasst und illustriert sei an dieser Stelle verwiesen.

Placeboeffekt in der Wissenschaft

Aufgrund seiner Wirkmächtigkeit steht der Placeboeffekt auch derzeit im Interesse der Neurowissenschaften. Man weiß mittlerweile, dass die treibende Kraft des Placeboeffektes die Erwartung ist –  je größer die Erwartung an die Wirksamkeit, desto größer der Effekt – und Erwartungen können durch unterschiedliche Mechanismen und Maßnahmen wie soziale Interaktion, Emotionen, aber auch Werbung erzeugt werden. Da wären wir jetzt wieder bei dem Beispiel Mollii Suit: welche Erwartungen werden durch die Emotionalität, die Fallbeispiele und die Wortwahl („Superheldenanzug“) beim Lesen der Homepage geweckt.

Um die tatsächliche Wirksamkeit von Interventionen zu bewerten, muss man daher, wie bereits oben gesagt, den Placeboeffekt berücksichtigen und durch ein klug gewähltes Studiendesign ausblenden: Wenn eine Gruppe von Patienten eine echte medizinische Intervention erhält und eine andere Gruppe eine Placebo-Intervention, kann beurteilt werden, ob die beobachteten Verbesserungen auf die spezifische Wirkung der Behandlung oder auf den Placeboeffekt zurückzuführen sind. Solche Studien bei Multipler Sklerose hat die Herstellerfirma des Mollii Suit für ihr Produkt nie durchgeführt und daher rührt meine Kritik.

Nun könnte man dagegenhalten: Ist doch egal, Hauptsache es geht besser, auch wenn es „nur“ der Placeboeffekt ist. Das halte ich allerdings für ethisch fragwürdig – denn letztlich stellt eine solche „Täuschung“ die Verletzung des Prinzips der informierten Zustimmung dar. Patienten sollten immer vollständig über die Art einer Intervention informiert sein. Finden Sie, dass dieses Prinzip z.B. beim Mollii Suit beachtet wird? Und letztlich möchte der Hersteller sein Produkt ja zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen verkaufen. Finden Sie es korrekt, dass man angesichts einer solchen Datenlage die Solidargemeinschaft belastet?

Ich bin gespannt auf Ihre Antworten in den Kommentaren…

12 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Mäurer,
    die MS-Behandlung belastet die Solidargemeinschaft sehr. Einerseits werden bei manchen Patienten jährlich Kontroll-MRTs und andere Untersuchungen gemacht, wo für mich der Nutzen fragwürdig ist. Andererseits gibt es Basistherapien, deren Nutzen schon in den Studien nicht wirklich berauschende Ergebnisse erzielen, sodass manche (durchaus westliche) Länder diese Präparate gar nicht erst in ihr Versorgungsportfolio aufnehmen. Und ich erinnere gern an Zinbryta- stark beworben als „Robin Hood“ unter den MS-Medikamenten. Alle erforderlichen Studienansprüche durchlaufen und bestanden, und vom Markt genommen, weil es für ein paar Patientinnen tödlich war. Ich erinnere mich noch gut an Ihre höchst positiven Beschreibungen zu Zinbryta damals. Und ja- haben alle Beteiligten vielleicht damals noch nicht besser gewusst. Aber- es war teuer, wurde vor allem in Deutschland verordnet (wir sind generell ein lukratives Land für neue und teurere Präparate) und kostete Leben. Ich warte bis heute auf die Demut, die mit diesen damals verstorbenen Patientinnen und neuen Medikamenten am Markt einhergehen müsste. Zinbryta hat die Solidargemeinschaft auch belastet.
    Ich habe ein Tens-Gerät. Dieses erspart mir ne Menge Schmerzmittel, die auch die Solidargemeinschaft mittragen müsste. Wenn der Mollii Suit dazu beiträgt, Schmerzmedikamente zu sparen und Patienten beweglicher macht, spart auch die Solidargemeinschaft. Ein beweglicher Mensch ist vllt dann auch besser arbeitsfähig! Nicht so wie ein Mensch, der sonst Schmerzmittel nimmt, welche das Bedienen von Maschinen und Fahrzeugen verbietet. Könnte sein, dass der Mollii Suit also sogar Geld in die Solidargemeinschaft reinspült, weil der Träger wieder arbeits- und gesellschaftsfähig(er) wird.
    Die Monatsration BTs der neuesten Generation können in die Tausende gehen. Das wissen Sie ja. Das muten wir der Solidargemeinschaft ja auch zu, bei leider keinem Heilungserfolg für die Patienten.
    Hülfe der Anzug nicht so manchem, wäre er längst kein Thema mehr. Weder hier noch sonstwo. Aber dieses Produkt hat sich einfach mal mit einem anderen Thema der MS befasst als mit Schubvermeidung. Nämlich mit Symptomverbesserung ohne Medikamente. Da werden viele MSler dankbar sein, denn die meisten von uns schlucken oder spritzen ein mächtiges Portfolio aus Medikamenten, die ihrerseits dann auch alle wieder mit Nebenwirkungen daherkommen.
    Wissen Sie, was ich denke? Sie hätten das mit dem Anzug vllt einfach mal gar nicht kommentieren sollen. Sie müssen nicht alles bewerten, was es für MSler gibt. Warum auch? Immerhin lagen auch Sie schon mal falsch (Zinbryta).

  2. „Patienten sollten immer vollständig über die Art einer Intervention informiert sein“.
    Klingt gut, ist aber de facto im Medizinbetrieb keine Tatsache (Zeitmangel? Hybris?).

    Darüber hinaus wird die Solidargemeinschaft mit Ausgaben im Medizinsystem belastet, die vor allem die Taschen der Fachärzte füllen (z.B. Radiologie: die Verwendung von Gadolineum bei Untersuchungen, wo man die Sequenzen auf die Untersuchung anpassen müsste, das aber übergeht mit dem Signalverstärker. Generiert den Praxen einen verdoppelten Stundensatz, dieser Einsatz einer fraglich gesundheitsschädlichen Substanz).
    Abgesehen von Eingriffen die fraglichen Nutzen haben (aber durch die Pauschalenregelung bisher zu lukrativ sind vor allem für Kliniken, um das nicht zu tun).

    Und weiter die Lebenserhaltung um jeden Preis, auch wenn das Leben nach der Maßnahme nicht mehr lebenswert ist, wohl aber die Gelder in der Pflege am Laufen hält.

    Das alles belastet die Solidargemeinschaft (474 Milliarden EUR jährlich an Gesundheitsausgaben (siehe statistisches Bundesamt).

    Kleines Rechenbeispiel für die chronisch Kranken. Die Quartalsabrechnung beim Facharzt (aus meiner Patientenquittung errechnet) sind im Schnitt 130 EUR (ohne Medikamente, nur Arztleistung. Krankenkasse zahlt). Wer von uns bekommt bei jedem Arztbesuch eine Behandlung, die er oder sie selbst mit 130 EUR vergüten würde?

    Hilft der Mollisuit so, dass antispastische Medikamente, Schmerzmittel, andere Orthesen, medizinische Hilfstherapien etc. eingespart werden können? Diese Rechnung sollten die Krankenkassen anstellen. Gut, dass der Hersteller die Studien selbst vorantreibt.

  3. Ich möchte für ihren Blog etwas anregen. Ergänzen sie bitte ihre Seite um den Punkt mögliche Interessenkonflikte und machen sie diese öffentlich. Dies wäre im Sinne der Transparenz geboten.

  4. Sehr geehrter Herr Mäurer,
    soweit ich von Ottobock informiert bin laufen noch einige wissenschaftliche Studien über den Mollii Suit. Bin selber Träger eines Mollii Suit, und muss sagen. Bin sehr zufrieden mit Mollii , und wurde therapeutisch 5 Wochen in der Reha positiv getestet. Wo Licht ist auch Schatten, mehr sagen bestimmt die Studien dann aus. Aber ihre Aussage ist beschämend , die Erfahrungen ihrer eigenen Patienten zu ignorieren. Schon ihre Aussage Balast der Solidargemeinschaft ist eine Frechheit , und eines Arztes nicht würdig.

    1. Im Gegenteil! Herr Prof. Dr. med. Mäurer hat damit vollkommen Recht. Wenn der medizinische Nutzen, analog Alternativmedizin (Globuli), nicht nachgewiesen kann ist es nicht gerechtfertigt die Allgemeinheit mit diesen Kosten zu belasten.

      Wenn Sie von dem Anzug überzeugt sind, hindert Sie niemand daran diesen auf eigene Kosten zu erwerben.

      1. Homöopathie wurde jetzt halt jahrelang von der Krankenkasse gezahlt und von approbierten ÄrztInnen verordnet?
        Prinzipiell gehe ich schon mit, wenn die Kasse Maßnahmen und Mittel mit medizinischem Nutzen zahlt.
        Dann dürfen wir aber auch die Frage stellen, wird jetzt aufgehört zu impfen, weil hier auch keine solchen geforderten Studien vorliegen?

  5. Lieber Herr Mäurer ,
    nach ihrem nun 2. hanebüchenen , negativen Artikel über den Mollii-Suit , welchen Sie wahrscheinlich noch nie selbst in Aktion erlebt haben, frage ich mich ernsthaft, ob Sie am Tropf der Pharma-Industrie hängen ?!
    Sie schaden und beleidigen uns MS-Betroffene, besonders SPMS- Betroffene, für die es nur symptomatische Hilfe gibt , indem Sie uns mit dem Totschlagargument PLACEBO kommen – ,Alles Einbildung‘ . Danke !
    Normal fände ich , wenn Sie dieses Hilfsmittel wohlwollend , neutral betrachten würden.
    Oder sind Sie einfach nur stur, Neuem und Hilfreichem einfach nicht aufgeschlossen ?

    1. Sehr geehrter Herr Dr.Mäurer, als Naturwissenschaftlicher kann ich ihre Argumentation verstehen. Als Schlaganfallbetroffener fällt mir dies deutlich schwerer. Was ich nicht verstehe, warum gibt es immer noch keine Studien zum Molli? Eine so große Vertriebsfirma wie Ottobock müsste daran doch Interesse haben? Und auch Ärzte sich doch am Wohlergehen der Patienten interessiert. Wäre es bei den vielen positiven Erfahrungsberichten nicht dringend erforderlich, einmal nachzuprüfen, ob an der Sache mehr als der Placeboeffekt dran ist? Sollte ich aus Unkenntnis Studien nicht kennen, bitte ich dies zu entschuldigen. Auf der Ottobock Seite konnte ich nichts finden.

  6. “ Wer heilt, hat/tut Recht“, erfasst für mich nicht die Komplexität der Medizin. Und ich stimme ihrer Kritik am Molli Suit auch zu.
    Meines Erachtens sollte aber die Diskussion dahin gehen , wie viel Aufklärung wir
    als Gesellschaft aushalten. Oder besser: entfernen wir uns sogar von Errungenschaften der Aufklärung? und die Medizin spielt doch darin eine wichtige Rolle. Was ich nicht teile, ist in diesem Fall im Dienste der „gesetzlichen Krankenkassen“ schöner gesagt im Dienste der „Solidargemeinschaft“ zu denken. Da ist „der steuerzahlende Versicherte“ ganz schnell bei Schuldzuweisungen, die man gerne auf die Schnelle bei der Hand hat wie Einzelfallberichte. Die Frage, wer es wird ist, medizinische Hilfe zu bekommen, bringt die Solidargemeinschaft in Teufelsküche. diese Frage beantwortete uns die Aufklärung. Somit beißt sich die Katze in den eigenen Schwanz.

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