Diagnoseübermittlung MS – Erstansprache

Auf Initiative des Bundesbeirates MS Betroffener (BBMSE) hat die DMSG kürzlich einen Flyer  herausgegeben, der Ärzten „Tipps“ zur Diagnoseübermittlung bei Multipler Sklerose gibt: Empfehlungen wie „nehmen sie sich Zeit für den Patienten“ oder „verwenden sie einfache Sprache“.

Warum ärgere ich mich, wenn ich so etwas lese? Vielleicht weil ich mich selbst nicht ernst genommen fühle. Es ist ja Konsens, dass man Patientinnen und Patienten als Arzt oder Ärztin ernst nimmt – das Wohlergehen unserer Patientinnen und Patienten ist schließlich die Maxime unseres Berufes.

Herausforderungen beim Arzt-Patienten-Gespräch

Auf der anderen Seite – Hand aufs Herz – es ist Tatsache, dass nicht jedes ärztliche Gespräch gelingt und die ärztliche Kommunikation keineswegs immer optimal läuft, was auch nicht immer mit einem Zeitproblem zu tun hat. Das Arzt-Patienten-Gespräch ist eine komplexe Situation, insbesondere wenn es um die Vermittlung von schicksalshaften Diagnosen oder gar um lebensbedrohliche Situationen geht. In einer solchen Situation ist die Anspannung groß, und das nicht nur auf Seiten des Patienten. Hinzu kommt das Wissensgefälle. Auf der einen Seite die medizinische Expertise, auf der anderen Seite die ratsuchende Person, die Vertrauen in die Kenntnisse des Arztes oder der Ärztin haben muss. Auch die Eigenschaften von Patientinnen und Patienten (sozialer Status, Bildung, kulturelle Faktoren u.v.m) sind unterschiedlich und erfordern eine unterschiedliche Kommunikation, ohne dass dies immer sofort klar ist. Und dann besteht ein aktuelles Thema auch darin, dass viele Patienten mit Vorinformationen aus dem Internet kommen. Sie werden somit selbst aktiv, fordern aber dann manchmal durch ihre Aktivität Behandlungen ein, die in der jeweiligen Situation nicht passend sind und einen Interessenskonflikt provozieren.

Es ist es also absolut legitim und notwendig, sich über die Arzt-Patient-Interaktion Gedanken zu machen, denn sie ist die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Behandlungsbeziehung – und daher ist die Initiative des BBMSE zu begrüßen.

Ärztliche Kommunikation als Teil der Ausbildung

Vielleicht beruhigt es sie zu hören, dass die ärztliche Kommunikation mittlerweile in der Ausbildung von Medizinstudierenden einen viel höheren Stellenwert bekommen hat als es in der Vergangenheit der Fall war. Alle medizinischen Fakultäten in Deutschland unterhalten Lehrkliniken (Skills labs), in denen neben praktischen Fähigkeiten auch die ärztliche Gesprächsführung trainiert wird – zum Teil mit Schauspielpatienten, die schwierige Gesprächssituationen simulieren. So werden die Studierenden schon innerhalb ihres Studiums auf das Arzt-Patienten Gespräch vorbereitet. Diese erfreuliche Entwicklung wird dazu beitragen, den Wünschen von Patientenorganisationen nach empathischer und sozial kompetenter Kommunikation entgegenzukommen.

Ich denke aber, eine weitere Entwicklung wird die Arzt-Patient Kommunikation nachhaltig verändern bzw. tut dies schon. Ich persönlich erlebe es in der heutigen Informationsgesellschaft eher selten, dass z.B. die Diagnose einer multiplen Sklerose die Patientinnen und Patienten überraschend trifft. In der Regel haben sich die Betroffenen im Netz und in den sozialen Netzwerken schon so eingehend informiert, dass die diagnostische Abklärung beim Neurologen eher als Bestätigung, denn als Überraschung empfunden wird.

Spezialwissen erforderlich

Dieser immer größer werdenden Patientengruppe ist es dann vor allem wichtig, eine faktenbasierte Information und eine gezielte Beratung vor dem Hintergrund ihrer persönlichen Lebenssituation zu erhalten. Nicht, dass in einer solchen Situation Empathie keine Rolle spielen würde, aber ebenfalls sehr wichtig ist ein hohes Spezialwissen des Behandlers. Ein solches Spezialwissen kann man nicht zwangsläufig von jedem Behandler erwarten, der ja häufig die gesamte und immer weiter zunehmende Breite des Faches Neurologie abdecken soll. Die durch das Internet möglich gewordene Nivellierung des Wissensgefälles eröffnet Patientinnen und Patienten neue Möglichkeiten, verlangt aber häufig auch andere Formen der Kommunikation und Wissensvermittlung. Das ist die Stärke von spezialisierten MS Zentren, die in der heutigen Zeit mehr denn je benötigt werden.

Nachdem ich Anfang des Jahres bereits über die ambulante spezialärztliche Versorgung (ASV) für MS geschrieben habe, schließt sich hier der Kreis. Es ist zu hoffen, dass das neue Angebot auch die Kommunikation mit MS-Betroffenen verbessern wird.

Ein Kommentar

  1. Das Thema der schlechten Art und Weise der Diagnoseübermittlung ist leider seit Jahren unverändert ein Dauerthema unter MS-Betroffenen. Es wurde bereits wissenschaftlich untersucht, wie groß das Ausmaß aus Betroffenensicht ist, siehe unser Artikel zur KoMS-Studie.
    https://ms-stiftung-trier.de/studienergebnisse-kommunikation-bei-multipler-sklerose-koms-veroeffentlicht/
    Ihr Blogbeitrag zeigt beispielhaft, wie groß der Abwehrreflex von MS-Experten gegen berechtigte Kritik von Betroffenen sein kann, selbst gegen so höflich und vorsichtig geäußerte Kritik wie diese hier vom Bundesbeirat MS-Erkrankter der DMSG, also sehr erfahrenen und engagierten MS-Betroffenen. Da ist noch eine steile Lernkurve zu absolvieren.

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