Steigt die Zahl der MS Erkrankten?

Wie viele sind es denn eigentlich? Es ist in der Tat eine spannende Frage, wie viele Menschen in der Bundesrepublik MS betroffen sind. Wenn man ein Lehrbuch zu Rate zieht,  steht da häufig eine Zahl von 120.000 Betroffenen. Das entspricht  in etwa einem Prävalenzwert von ca. 149 MS Erkrankten auf 100.000 Einwohner. Grundlage für diese Zahl ist eine Hochrechnung aus dem Jahr 2000, bei der eine repräsentative Befragung von Arztgruppen stattgefunden hat, die an der Versorgung von MS-Patienten beteiligt sind. Die Rücklaufquote der Fragebögen war bei den niedergelassenen Ärzten mit 18,5% eher niedrig. Daher muss man annehmen, dass die Datengrundlage dieser Erhebung wahrscheinlich nicht ausreichend verlässlich war.Aus diesem Grund haben wir kürzlich einen anderen Ansatz gewählt, indem wir Datensätze von 1.546.490 (Gesamtstichprobe) versicherter Personen ausgewertet haben. Diese Daten stammen aus der Forschungsdatenbank der Gesundheitsforen Leipzig, die im Auftrag der gesetzlichen Krankenkassen Abrechnungsinformationen pflegen. Analysiert wurden die Jahre 2006 bis 2010 (Dippel et al., Aktuelle Neurologie 2015).

Eine MS wurde angenommen, wenn im ambulanten oder stationären Bereich der ICD10-Codes der MS  „G35“ vergeben wurde. Die Diagnose galt als gesichert, wenn der Code im Verlauf mindestens zweimal vergeben wurde, oder zusätzlich die Verordnung eines immunmodulatorisch wirkenden Arzneimittels erfolgte. Wenn man diese Definition auf die Gesamtstichprobe anwendet, so ergibt sich im untersuchten Zeitraum eine durchschnittliche Prävalenz von 278 Betroffenen auf 100.000 Einwohner – also eine deutlich höhere Zahl.

Nun kann man natürlich die Methodik  unserer Analyse anzweifeln –  die Annahme wird aber durch weitere unabhängige Erhebungen mit den Daten des Bundesversicherungsamtes in ihrer Grundaussage bestätigt. Das Bundesversicherungsamt sammelt die Daten für den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich der Krankenkassen – diese sind hinsichtlich der Aktualität wie auch bezüglich des Umfangs von guter Qualität. Legt man diese Daten zugrunde, errechnet sich eine Prävalenz der Erkrankung von ca. 250 Betroffenen auf 100.000 Einwohner. Das entspräche bei einer Gesamtbevölkerung in Deutschlang von ca. 81 Mio. einer Zahl von ca. 202.000 MS-Patienten. Wenn man eine gleiche Verteilung der Prävalenz bei gesetzlich- und privatversicherten Patienten annimmt würde sich die Zahl nochmals um eine niedrige fünfstellige Zahl vergrößern.

Daher ist aufgrund der aktuellen Datenlage eine Schätzung von 120.000 MS-Patienten sicher nicht mehr haltbar – es ist viel wahrscheinlicher, dass die Anzahl der in Deutschland lebenden MS-Patienten ca. 50% höher liegt als bisher angenommen.

Jetzt stellt sich die Frage nach dem Grund für diese Zunahme. Auch wenn die früheren Hochrechnungen methodisch fraglich waren, so stellt sich trotzdem, auch mit Blick auf die weltweite Entwicklung, die Frage, ob die Erkrankung zunimmt, z.B. weil wir mit bestimmten „westlichen“ Lebensgewohnheiten anfälliger für Autoimmunerkrankungen werden. Alternativ könnte man ins Feld führen, dass nicht die Erkrankung zunimmt, sondern unsere Diagnosemethoden besser geworden sind – z.B. durch eine flächendeckende Verfügbarkeit des MRT – und viele Patienten früher gar nicht als MS-Patienten identifiziert wurden. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit – wie immer – in der Mitte. Eine Zunahme der Diagnose durch sensitivere Untersuchungsmethoden ist wahrscheinlich. Auf der anderen Seite sind auch bestimmte Lebensgewohnheiten dazu geeignet, die Inzidenz von Autoimmunerkrankungen und damit auch der MS ansteigen zu lassen. So könnte z.B. zu starke Hygiene v.a. im Kleinkindesalter dazu führen, dass unser Immunsystem eine unzureichende Toleranz entwickelt. Auch Ernährungsgewohnheiten mit zu salzreicher Ernährung könnten für Autoimmunerkrankungen förderlich sein. Hier und auf vielen anderen Gebieten werden in der Grundlagenforschung viele interessante Ansätze verfolgt. In jedem Fall aber hat die MS aufgrund ihrer zunehmenden Häufigkeit ein erhebliches gesundheitsökonomisches Gewicht.

18 Kommentare

  1. Alle Autoimmunkrankheiten sind auf dem Vormarsch . Meiner Überzeugung nach liegt dies an der exzessiven Impfpraxis des Westens . Ein gutes Beispiel hierfür sehe ich im Golfkriegssyndrom ,welches bei Soldaten nach Verabreichung von Impfungen mit nicht körpereigenem Squalen massenhaft auftrat ! Ich halte auch die Verabreichung der Nervengifte Quecksilber und Aluminium in hohen Dosen an Menschen allgemein sowie an Kleinstkinder im Besonderen für reinen Wahnsinn ! Zu meiner Kinderzeit waren ca zwei von dreißig Kindern krank, heute sind zwei scheinbar gesund . Zitat Faust 2: … und niemand fragte , wer genas ?! …

  2. Vor zwei Monaten fand man einen entzündlichen Herd und teilte mir mit, ich hätte einen Schub. Ich war bis dahin Raucherin, Vegetarierin, mied Milchprodukte (Laktose). Allerdings griff ich oft zu Fertiggerichten, viel Getreide (Gluten) usw., erkrankte als Kind an Windpocken und Keuchhusten. Vor der CIS/KIS-Diagnose war ich Schülerin, blieb oft bis spät nachmittags in der Schule, hatte enormen Prüfungsstress (und -angst), dazu Versagensängste (wegen Mathemathik, generell Klausuren…) – und lernte Zuhause viel und lange, schlief wenig und schlecht, rauchte mehr – viel mehr – und bekam eine Bronchitis, mit der ich ca. zwei Monate lang beschäftigt war.

    Bisher möchte mit mir kein Arzt über meine Chancen sprechen, dass sich MS eben nicht manifestiert, d.h. wie hoch oder gering meine Chance ist. Las einige Studien und durchstöbere viele Erfahrungsberichte. Mein Leben habe ich schon ein wenig umgekrempelt – kein Nikotin mehr, nix mit Fertiggerichten usw.

    Information ist sehr, sehr wichtig. Ich fühle mich von Fachleuten im Stich gelassen, und auch mir stellt sich zwangsläufig die Frage, ob ausreichend geforscht wird. Wie viel ist Gesundheit wert? Wer hofft auf welche Ergebnisse? Und soll ich wirklich eine Basistherapie beginnen, wenn diese doch „nur“ etwa einen Schub in fünf bis zehn Jahren verhindert? Laut Studie belegt. Die wiederum finanziell unterstützt wurde vom Pharmaunternehmen, welches das betroffene Medikament herstellt.

  3. Sehr geehrter Herr Professor Dr. Mäurer,
    was mich brennend interessieren würde, sind die (bislang unbekannten) Ursachen der MS. Sie haben in Ihrem Artikel mehrere Möglichkeiten angesprochen. Aber: Gibt es diesbezüglich eigentlich eine repräsentative Umfrage unter MS-Kranken? Zum Beispiel im Rahmen einer Doktorarbeit o.ä.? Falls es so etwas nicht gibt, würde ich es hiermit gerne anregen. Mir ist klar, dass die Ursachen eventuell grundverschieden sind – genau wie die Krankheit selbst 1000 Gesichter hat. Aber vielleicht ließen sich ja doch exaktere Tendenzen erheben – vielleicht sogar im Zusammenhang mit dem Verlauf? Einen Versuch wäre es wert. Ich würde mich gerne an einer solchen Umfrage auf Basis des aktuellen Forschungsstandes beteiligen – egal in welcher Weise.
    Herzliche Grüße
    Sunny

    1. Hallo Sunny

      Wäre es nicht sinnvoller derartige Ausküfte dort zu erfragen wo man bereits Heilungen der ms verzeichnen konnte, als dort wo man bisher nicht mal eine Erkenntnis über die Ursachen gewonnen hat?

      Wenn Einrichtungen die zuvor attestierten das ihre Patienten unheilbar an MS erkrankt seien von den Selben informiert wurden das sie nun geheilt sind,
      diese Tatsache aber unterschlagen gibt mir das zu denken.

      Wenn betreffende Krankenkassen die Kostenübernahmen der Heilungen verweigerten aber genau wissen das seit der Heilung die Anforderung teurer Medikament und Maßnahmen bei den betreffenden Patienten ausblieben ,gibt auch das mir zu denken.

      Es ist also eindeutig das betreffende Forschungseinrichtungen und Geldgeber sowie Krankenkassen genau wissen das es einen Heilungsweg im Bereich MS gibt.

      Wäre es nicht sinnvoller statt nach Studien zu fragen die betreffenden Personen zu befragen wieviel MS-Fälle durch ihre teuren Aufwendungen bisher tatsächlich geheilt wurden.
      Aber ich bin nur ein schulmedizinischer Laie und gehe sicher zu unbedarft an dieses thema heran.
      Daher sei dieser Beitrag lediglich auch nur einmal als Denkanstoß gedacht nicht als Kritik.

  4. G35 zeigt sich als eine der begehrenswertesten Diagnosen für die Fachleute der Neurologie.
    Einmal gestellt, so wird der Betroffene dieses unheilvolle Kürzel nie wieder los und adäquat gesehen und behandelt. Es gibt zuviele Fehldiagnosen!
    Der Grund dafür ist die Voreiligkeit, die neuen Diagnosekriterien, und dass es niemanden mehr wichtig ist, diese Diagnose nach einer gewissen Zeit nochmals genau zu überprüfen, denn sie bringt Geld. Es scheint legitimiert, unrefektiert vom anderen Kollegen abzuschreiben und das Kürzel stückchenweise dahingehend zu konkretisieren und ergänzend auszuschmücken, sodass sodass der Patient sich zunehmend in den Fängen der klassischen MS-Auswegslosigkeit befindet.

    Und was ist MS denn eigentlich?
    Die Herren und Damen Neurologen verstricken sich immer mehr in ihren eigenen Widersprüchen. Es herrscht ein Erklärungschaos schlechthin und viele Widersinnigkeiten (Was ist nun mit dem TNF alpha und der Antagonisierung – Prof. Gold? Und weswegen werden die Studienergebnisse von Luanne Metz für unwichtig befunden, Ocrelizmab hingegen hochgejubelt? Gibt es Patienteninformationstage und Plattformen, die frei von Interessenkonflikten sind? Dasselbe gilt für Fachärzte und Kliniken. Weshalb hat die MS-Leitlinie nur 2 von 18 Punkten in seiner Bewertung erreicht, während die meisten anderen Krankheitsbilder von ‚Leitlinienwatch wesentlich höhere Punktzahlen erreichten. Und weswegen bewirtschaften Sie eigentlich diesen komischen MS-Doc-blog? Zwecks Werbung? usw.usf.)

    Es wäre gut zwischen ‚MS haben‘ und ‚MS diagnostiziert worden zu sein‘ zu unterscheiden. Und es wäre gut, auch solange bei der AutoimmunHYPOTHESE zu bleiben, bis eine definitive wissenschaftliche Begründung vorliegt, die mit der Realität eines jeden individuellen MS-Diagnostizierten vereinbar ist!

    Wenn Sie, Herr Mäurer, und Ihre Kollegen eines Tages tatsächlich in der Lage sein werden, die Aetiologie der multiplen Läsionen innerhalb des ZNS erklären, begünden und wissenschaftlich belegen zu können, dann gäbe es mit 100%er Sicherheit Zigtausende strahlender Gesichter, die nichts lieber täten, als endlich wieder ganztags berufstätig zu sein und auf gesündere Art zur Wirtschaftlichkeit in unserem Land beizutragen.

    Die sogenannte MS ist keine eigenständige Krankheit; sie ist auch nicht vom Himmel gefallen; sie ist zudem keine primäre Autoimmunerkrankung und und und.
    Sollte die MS eine angeborene bzw. erworbene Autoimmunerkrankung sein, dann braucht es in beiden Fällen ein gezieltes Zusammenspiel zwischen der zugrundeliegenden DNA und der epigenetischen Expression. Auch in diesem Fall kann man weiterkommen.

    Hat der Betroffene eigentlich einen berechtigten Zutritt zum MS-Register?
    Woher weiss man, dass man darin vermerkt wurde?
    Und wie kann man sich dort herauslöschen lassen, wenn sich herausgestellt hat, dass man zu Unrecht ms-diagnostiziert wurde???

    Ich bitte um Aufklärung.
    Leonie

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