Neues vom ECTRIMS – Krankheitsprogression – PIRA (progression independent of relapse activity)

In klinischen Studien MS-Studien wird die Krankheitsprogression in der Regel anhand der Zunahme des EDSS-Wertes gemessen. Nun kann eine Zunahme des EDSS-Wertes in der Folge eines klinischen Schubes auftreten. Nehmen sie z.B. einen Schub mit einer schweren Sehnervenentzündung, die sich nur inkomplett zurückbildet und eine Sehstörung als Behinderung zurücklässt. In diesem Fall ist die Zunahme der Behinderung rein schubabhängig. Alternativ kann es aber auch zu einer Zunahme der Behinderung unabhängig von Schüben kommen. Und in der Tat berichten nicht wenige Patienten, vor allem in späteren Erkrankungsphasen, von einer Zunahme der Behinderung auch trotz der Behandlung mit einem MS-Medikament.

Mittlerweile wird immer klarer, dass eine solche schubunabhängige Progression nicht nur bei Patienten in späteren, sekundär progredienten Erkrankungsphasen existiert, sondern bereits in der schubförmigen Phase der Erkrankung beobachtet werden kann. Hierzu wurde Anfang des Jahres 2020 eine sehr interessante Arbeit im renommierten Journal JAMA Neurology (Kappos et al. JAMA Neurol. 2020; 77 (9): 1 – 9) publiziert.

Die Autoren um Ludwig Kappos haben diesbezüglich die Daten des OPERA-Studienprogramms (dies waren die Zulassungsstudien von Ocrelizumab, in denen die Wirkung von Ocrelizumab gegenüber Interferon-Beta an rein schubförmigen Patienten untersucht wurden) erneut ausgewertet und untersucht, inwieweit die Behinderungsprogression der untersuchten RRMS Patienten auf MS-Schübe zurückzuführen war bzw. unabhängig von Schüben aufgetreten ist. Insgesamt zeigte ein geringerer Anteil der mit Ocrelizumab behandelten Patienten eine Behinderungsprogression verglichen mit der mit Interferon-beta behandelten Gruppe (21 % vs 29 %). Bei der Nachanalyse zeigte sich jetzt, dass diese Behinderungsprogression überwiegend auf eine schubunabhängige Verschlechterung zurückzuführen war. In Zahlen ausgedrückt war bei 78 % der Interferon-Patienten mit Behinderungsprogression und sogar bei 88 % der Ocrelizumab-Patienten mit Behinderungsprogression diese Progression unabhängig von Schüben (=PIRA). Und ganz wichtig: Das alles waren Patienten mit schubförmiger MS in einer relativ frühen Phase der Erkrankung.

Demnach ist der monoklonale Antikörper Ocrelizumab in der Lage, extrem effizient entzündliche Krankheitsschübe und die damit assoziierte Behinderungszunahme zu unterdrücken. Leider zeigt das Ergebnis aber auch, dass Schübe bei hocheffizient behandelten Patienten kaum mehr eine Rolle als Treiber der klinischen Behinderung spielen.

Zusammengefasst können wir derzeit Entzündungsaktivität extrem effizient unterdrücken – und das sollte auch wenn immer möglich konsequent getan werden – jedoch fehlen uns bisher Konzepte, um die schubunabhängige Progression zu bremsen bzw. zu verhindern. Es besteht zwar wenig Zweifel daran, dass die schubunabhängige Progression in direktem Zusammenhang mit der initialen Entzündungsaktivität steht, im Verlauf der Erkrankung scheint sich dieses Phänomen aber zu verselbstständigen. Daher ist eine effiziente Entzündungshemmung insbesondere in den Frühphasen der Erkrankung extrem wichtig – und dieses Konzept wird in der Praxis noch nicht konsequent genug umgesetzt. Die Neuentwicklung von Medikamenten muss sich auf die Verhinderung von PIRA konzentrieren – vielleicht wird dies durch Medikamente erreicht, die Entzündung im Hirngewebe effektiver unterdrücken. Der Nachweis von PIRA in unterschiedlichen Studienkollektiven und die Diskussion, wie Progression zu verhindern ist, war in den aktuellen ECTRIMS Beiträgen sehr präsent und wird definitiv die aktuelle Diskussion um die Therapie der Erkrankung beeinflussen.

 

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