Neues vom ECTRIMS 2020 – Die prodromale MS – gibt es das?

Wie und wann beginnt eine Multiple Sklerose? Beginnt die Erkrankung mit dem ersten Schub oder geht diesem ersten Schub eine sogenannte Prodromal-Phase voraus, während der die Erkrankung schon besteht, allerdings noch nicht zu neurologischen Ausfällen führt? Mit dieser wichtigen Frage, die bisher in der Literatur nur wenig diskutiert wurde, hat sich die kanadische MS-Spezialistin Helen Tremlett beschäftigt. Ihre Überlegungen zu diesem Thema und ihre wissenschaftlichen Arbeiten hat sie in der Eröffnungsvorlesung des diesjährigen ECTRIMS-Kongresses dargestellt.

Mit Hilfe des kanadischen MS Registers und vergleichbaren Kontrollpersonen aus dem nationalen Gesundheitsregister wurde untersucht, ob MS-Patienten bereits vor der Diagnose der Multiple Sklerose (also vor dem ersten Krankheitsschub) ein anderes Verhalten bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zeigen als die ausgewählten Kontrollpersonen. Darüber hinaus wurde untersucht, was die Gründe für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen waren.

Dazu wurde das Gesundheitsverhalten von 14.000 MS-Patienten in den 5 Jahren vor dem ersten MS-Schub mit dem Gesundheitsverhalten von 72.000 gematchten Kontrollen verglichen. Überraschenderweise zeigte sich bei den MS-Patienten verglichen zu dem Normalkollektiv eine durchgehend höhere Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen. Im Jahr vor dem ersten klinischen Ereignis fand sich bei den MS-Patienten eine um 78 % höhere Rate von Krankenhausaufnahmen, eine um 88 % höhere Rate der Inanspruchnahme von Ärzten und eine um ca. 50 % höhere Verschreibung von Medikamenten. Auf der Basis dieser Daten könnte man annehmen, dass dem ersten klinischen Schub tatsächlich eine Prodromalphase vorausgeht. Aufgeschlüsselt nach Symptomen waren es vor allen Dingen psychiatrische Probleme, die zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen geführt haben. Interessanterweise wurden aber auch wegen dermatologischer Symptome Leistungen in Anspruch genommen, so dass die Frage besteht, ob Hautveränderungen vor dem ersten Schub eine Bedeutung besitzen. Bei weiblichen MS-Patienten wurde zudem eine erhöhte Einnahme von Kontrazeptiva und eine erniedrigte Inzidenz von Schwangerschaften beobachtet. Alle diese Befunde lassen viel Raum für Spekulation und sind definitiv noch kein Beweis für eine Prodromalphase bei MS. Auf der anderen Seite konnten die kanadischen Beobachtungen durch weitere Studien u.a. aus Norwegen und Deutschland unterstützt werden.

Wenn es eine – wie auch immer geartete – Prodromalphase der MS geben würde, so hätte das erhebliche Implikationen für die Früherkennung einer MS. Insbesondere würde sich durch die Identifikation eines Prodromalstadiums ein erheblich größeres „Window of Opportunity“ für das Management der MS ergeben – eine noch frühere und damit, nach aktuellen Erkenntnissen, effizientere Behandlung der MS wäre möglich. Auf der anderen Seite sind die von Helen Tremletts Team identifizierten Prodromalsymptome klinisch relativ unspezifisch. Durch die zukünftige Verwendung von Biomarkern könnte dieses Problem aber relativiert werden. Mein nächster Beitrag hier wird von Biomarkern handeln.

In jedem Fall beeinflussen die Überlegungen zur prodromalen MS aus meiner Sicht die Herangehensweise an das sog. radiologisch isolierte Syndrom (RIS) – also nur MRT Veränderungen ohne spezifische klinische Symptome. Vielleicht sollte man bei diesen Personen, in Kenntnis der Arbeiten zur prodromalen MS, therapeutisch konsequenter einschreiten und nicht auf den ersten Schub warten.

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