Falsche Hoffnungen

„Aufmerksamkeit ist die Währung unserer Zeit“. Leider macht diese Erkenntnis auch vor der Wissenschaft nicht halt. Natürlich ist es absolut in Ordnung, dass auch Wissenschaftler, wenn sie wichtige Erkenntnisse gewonnen haben, diese auch publik machen und sie einer breiteren Öffentlichkeit mitteilen. Dazu geben die Pressestellen der Universitäten oder anderer Forschungseinrichtungen schon seit Jahren Pressemeldungen heraus, um sie über die Fachpresse zu verbreiten. Die Adressaten waren früher in erster Linie andere Wissenschaftler oder sonstiges Fachpublikum. Aufgrund seiner Fachkenntnis waren sie in der Lage, diese Mitteilungen richtig einzuordnen. Mit dem Aufkommen der Online-Nachrichtendienste und der Potenzierung von Nachrichten über die sozialen Netzwerke haben aber auch Pressemeldungen von Universitäten einen ganz anderen Impact bekommen. Und außerdem eine so immens große Reichweite, dass auch fachfremdes Publikum durch fachfremde Medien mit grundlagenwissenschaftlichen Themen konfrontiert wird. Vor diesem Hintergrund haben natürlich auch die Universitäten gelernt, wie wichtig gute Selbstvermarktung ist. Denn nur, wer laut trommelt, wird auch gehört und erregt Aufmerksamkeit. Das bringt durchaus auch wieder Vorteile für die Forschungsinstitution mit sich.

Transparenz der Wissenschaft

Prinzipiell finde ich das legitim. Es ist eben auch ein Merkmal der Zeit, in der wir leben. Und es ist sinnvoll und wünschenswert, wenn Wissenschaft versucht transparent zu sein und Interesse an komplexen Zusammenhängen zu wecken. Auf der anderen Seite birgt die gesteigerte Suche nach Aufmerksamkeit auch die Gefahr, inhaltlich zu überziehen und zu übertreiben. Das ist problematisch, weil – wie schon gesagt – Adressaten solcher Botschaften mittlerweile nicht nur fachkundige Personen sind, sondern die breite Öffentlichkeit. Hierzu zählen eben auch Menschen mit chronischen Erkrankungen (wie z.B. der Multiple Skerose), die mit jeder neuen Meldung zu ihrer Erkrankung große Hoffnungen verknüpfen. Und die Hoffnungen sind natürlich umso größer, je expansiver ein Thema dargestellt wird und je größer die mediale Verbreitung ist.

Ein Beispiel ist eine Pressemeldung mit Bezug zur MS, die vorletzte Woche im Netz erschienen ist: „Schübe einfach abschalten: TRANQUIL IMMUNE und LSI entwickeln T-Zell-Silencer zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen“. Das ist sicher eine interessante Nachricht für Menschen, die unter einer schubförmigen MS leiden.

Ergebnis in der Zellkultur, nicht im lebenden Organismus

Was steckt hinter der Nachricht? Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen sind mit sog. intrazellulären Signaltransduktionsmolekülen gekoppelt. Sie geben die Signale von der Oberfläche ins Zellinnere weiter. Damit diese Signalweitergabe funktioniert, erfolgt eine Tyrosin-Phosphorylierung der Signalproteine durch Enzyme (Kinasen). Diese kann man chemisch hemmen und dadurch die Signalweiterleitung unterbinden. In der Konsequenz führt das zu einer fehlenden oder verminderten Aktivierung von Immunzellen.

Was allerdings in der Zellkultur gut funktioniert, muss nicht unbedingt im lebenden Organismus funktionieren. Und es ist auch noch lange keine Garantie, dass sich ein solcher Mechanismus in eine klinische Wirkung übersetzt (die sog. Translation). Daher ist die Meldung „Schübe einfach abschalten“ schon sehr „vollmundig“ gewählt, auch wenn dahinter ein seriöser Forschungsansatz steht.

Grundlagenwissenschaftliche Ergebnisse bedeuten nicht Therapien

Zunächst muss ein solches Konzept klinisch weiterentwickelt werden. Dabei kann noch eine Menge Zeit vergehen, bis greifbare Ergebnisse vorliegen. Zudem kann es gut sein, dass Versuche am Menschen zeigen, dass keine oder sogar negative Effekte erzeugt werden und das Konzept verlassen werden muss. In dieser Phase der Entwicklung sind meist viele relevante Fragen noch total offen.

Daher ist mein Ratschlag, dass man als interessierter und informierter Patient solche Meldungen zwar gerne zur Kenntnis nehmen kann. Man sollte aber vermeiden, an grundlagenwissenschaftliche Meldungen zu viel konkrete therapeutische Hoffnungen zu knüpfen. Auch wenn das „Wissenschaftsmarketing“ dies suggeriert. Wenn es um Zellkultur oder Tierversuche geht, ist der Weg in der Regel noch sehr lang – zu lang, um daraus konkrete therapeutische Erwartungen abzuleiten.

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