Ich möchte allen meinen Lesern ein frohes, glückliches und vor allem gesundes neues Jahr 2024 wünschen. Zu Beginn eines Jahres wird man ja manchmal gefragt, wo man interessante Potentiale im Hinblick auf therapeutische Neuentwicklungen sieht. Da fallen einem natürlich einige spannende Aspekte ein. Ich würde aber behaupten, eine der spannendsten Entwicklungen in der Therapie von Autoimmunerkrankungen sind die Fortschritte bei den sog. CAR-T-Zellen. Daher hier ein Ausblick auf die CAR-T-Zell-Therapie bei Multipler Sklerose (MS).
Die Abkürzung CAR steht für „chimärer Antigenrezeptor“ – es handelt sich also um eine Therapie mit T-Lymphozyten, die im Labor gentechnisch so verändert wurden, dass sie einen chimären Antigenrezeptor (CAR) tragen. Und der ist darauf ausgelegt, ein bestimmtes Antigen auf der Oberfläche einer Zielzelle zu erkennen.
CAR-T-Zell-Therapie: Ursprung
CAR-T-Zellen wurde ursprünglich zur Behandlung von Krebserkrankungen entwickelt und eingesetzt. Die modifizierten T-Zellen werden dem Krebspatienten durch eine Infusion gegeben, zirkulieren dann im Körper und suchen nach den spezifischen Krebszellen, die das Zielantigen tragen. Sobald die CAR-T-Zellen die Krebszellen erkennen und eine Rezeptorbindung eingehen, sind sie in der Lage, die Krebszellen zu zerstören. Bei bestimmten Formen von Blutkrebs hat sich diese Art der Therapie schon als sehr wirkungsvoll erwiesen.
CAR-T-Zell-Therapie: Autoimmunerkrankungen
Seit einiger Zeit haben Forschende begonnen, CAR-T Zellen auch bei der Behandlung von Autoimmunerkrankungen einzusetzen. Vorreiter in Deutschland war die Rheumatologie des Universitätsklinikums Erlangen, die im Jahr 2022 die erfolgreiche Behandlung einer jungen Patientin mit therapierefraktärem Lupus erythematodes (SLE) im renommierten Fachjournal Nature Medicine veröffentlicht hat (Anti-CD19 CAR T cell therapy for refractory systemic lupus erythematosus – PubMed (nih.gov)).
Beim SLE handelt es sich um eine schwerwiegende Autoimmunerkrankung, die prinzipiell jedes Organsystem betreffen kann und die durch Autoantikörper gegen verschiedene Zellbestandteile vermittelt wird. Da Autoantikörper von sog. B-Lymphozyten produziert werden, wurden zur Therapie der jungen SLE-Patientin CAR-T-Zellen gegen das Oberflächenmolekül CD19 hergestellt. CD19 ist ein Oberflächenmarker von B-Lymphozyten (B-Zellen), die dadurch von den anti-CD19 CAR-T-Zellen erkannt und zerstört werden können. Mit diesem neuen therapeutischen Konzept konnte bei der SLE-Patientin eine Remission der Autoimmunerkrankung erzielt werden, nachdem dies zuvor mit vielen anderen, teilweise hochwirksamen Therapien nicht gelungen war.
Angesichts dieses therapeutischen Erfolgen, wurden anti-CD19 CAR-T-Zellen in der Folgezeit nicht nur in der Rheumatologie eingesetzt, sondern es wurden auch erste Erfahrungen mit neurologischen Krankheitsbildern gewonnen, v.a. mit der Myasthenia gravis, einer erworbenen Muskelschwäche, die ebenfalls durch Autoantikörper gegen den Acetylcholin-Rezeptor auf Muskelzellen vermittelt wird. Auch hier sind die ersten Fallberichte zur Behandlung von therapierefraktären Myasthenie-Patienten sehr vielversprechend (Anti-CD19 CAR T cells for refractory myasthenia gravis – PubMed (nih.gov)).
CAR-T-Zell-Therapie: Multiple Sklerose
Nun hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass B-Zellen auch in der Pathogenese der Multiplen Sklerose eine wichtige Rolle spielen. Dies wird nicht zuletzt dadurch unterstützt, dass B-Zell-depletierende Therapien (Rituximab, Ocrrelizumab, Ofatumumab, Ublituximab) derzeit als hochwirksame Therapiekonzepte zur Behandlung der schubförmigen MS gelten. Es wurde zudem in den letzten Jahren auch klar, dass B-Zellen für die chronische Progredienz der Erkrankung von Bedeutung sind. Insbesondere bei chronischen Verlaufsformen wurden B-Zell-Aggregationen im Gehirn gefunden, die mit dem Ausmaß der Behinderungsprogression korrelieren. Das Problem ist, dass man mit konventionellen systemischen Therapien diese B-Zell Aggregate nicht erreicht. Daher konzentriert sich auch derzeit viel Energie auf die Entwicklung von ZNS-gängigen Medikamenten, die gegen B-Zellen gerichtet sind.
Vor diesem Hintergrund sind gegen B-Zellen gerichtete CAR-T Zellen auch für die Therapie der MS von großem Interesse. Eine CAR-T-Zell-Therapie wäre zumindest theoretisch in der Lage, im Rahmen der Immunüberwachung auch pathologische B-Zellen im ZNS aufzuspüren und zu vernichten. Man darf daher sehr gespannt sein, was hier in der nächsten Zeit passiert und ob man mit solchen Konzepten ggf. Erfolge bei der Verhinderung der chronischen Progression erzielt.
Man muss allerdings auch erwähnen, dass eine CAR-T-Zelltherapie – insbesondere bei der Behandlung von Krebserkrankungen – mit Risiken und schwerwiegenden Nebenwirkungen verbunden sein kann. Hierzu zählt das Zytokinfreisetzungssyndrom (ZFS): Wenn die CAR-T-Zellen andere Zellen angreifen, setzen sie Zytokine frei, die eine starke Immunreaktion auslösen können. Darüber hinaus kann die Therapie neurotoxisch sein, dh. Patienten können zentralnervöse Reiz- und Ausfallerscheinungen entwickeln. Es muss auch gesagt werden, dass eine solche Therapie zunächst nur in hochspezialisierten Zentren, die eine gut etablierte Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Hämatologie haben, durchgeführt werden kann und selbstverständlich nur für ausgewählte Patienten im Rahmen von Studienprogrammen sinnvoll ist. Aber ich halte diese Entwicklung trotzdem mit Blick auf die Zukunft für äußerst interessant.
Siehe auch der MS-Docblog-Text „Neue Zelltherapeutische Ansätze„.