Cladribin – eine neue Option bei schubförmiger MS

Am 25. August 2017, hat die europäische Arzneimittelkommission EMA den Wirkstoff Cladribin unter dem Handelsnamen MAVENCLAD® zur Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose (MS) bei Patienten mit hoher Krankheitsaktivität zugelassen.Vielleicht können sich einige von Ihnen noch erinnern. Im Jahr 2011 – zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine effektiven oralen MS-Medikamente – standen zwei Präparate kurz vor der Zulassung: Zum einen Fingolimod, das im Jahr 2011 unter dem Handelsnamen Gilenya zugelassen wurde, zum anderen die Substanz Cladribin, die allerdings trotz guter Wirksamkeitsdaten von der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) damals keine Zulassung erhalten hat. Der Grund dafür waren Sicherheitsbedenken – die EMA war skeptisch, nachdem in der Behandlungsgruppe mehr Tumore als in der Placebogruppe aufgetreten waren – dieses Phänomen sollte erst weiter untersucht werden.

Daher wurde Cladribin in den letzten Jahren weiter in verschiedenen Studienprogrammen auf Wirkung und Sicherheit getestet. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass sich die Häufigkeit von Tumoren unter Cladribin nicht von der anderer MS-Medikamente unterscheidet. Auch sonst hat es bei der jetzt mittlerweile über acht Jahre dauernden Beobachtung der Substanz wenig Nebenwirkungen gegeben, so dass vor dem Hintergrund einer doch recht überzeugenden Wirkung in der Placebo-kontrollierten Zulassungsstudie (signifikante Reduktion der Schubrate, Behinderungsprogression und MRT-Aktivität) jetzt die Zulassung erteilt wurde.

Cladribin ist angesichts seines Wirkmechanismus ein interessantes Medikament.Es ist fast „baugleich“ zu Desoxyadenosin, das für den Energiestoffwechsel von Zellen, aber auch für die Synthese der Nukleinsäuren RNA und DNA, benötigt wird. Aufgrund seiner biochemischen Modifikation kann Cladribin im Gegensatz zu Dexoxyadenosin von Zellen nicht abgebaut werden. Einmal in die Zelle eingeschleust und über bestimmte Enzyme aktiviert, reduziert es langanhaltend insbesondere die Vermehrung von T- und B-Zellen, die für die autoimmune Entzündung bei MS verantwortlich sind.

Die Einnahme von Cladribin ist relativ „bequem“: Es werden zwei orale Zyklen (1 – 2 Tabletten über 4 – 5 Tage in Abhängigkeit vom individuellen Körpergewicht) im ersten und im zweiten Therapiejahr gegeben, dh. das Medikament erzielt bei oraler Verabreichung an maximal 20 Tagen innerhalb eines Behandlungszeitraums von zwei Jahren seine Wirkung, die in der Studiensituation bis zu 4 Jahre angehalten hat – bei einem Teil der Patienten in der Tat ohne weitere Auffrischung der Medikation. Dies ist ein recht spannendes Ergebnis. Denn mit diesem Wirkkonzept hat Cladribin Ähnlichkeiten zu dem Antikörper Alemtuzumab, allerdings mit dem Vorteil der oralen Gabe und der leichteren logistischen Verabreichung. Cladribin ist auch deswegen interessant, weil es ein kleines Molekül ist und im Gegensatz zu einem monoklonalen Antikörper in der Lage, in das zentrale Nervensystem zu gelangen, also an den Ort des Geschehens bei MS.

Cladribin hat daher ein gewisses Potential, die Therapie der schubförmigen MS zu verändern. Man wird aber sicherlich die Erfahrungen in der Realität abwarten müssen, bevor man eine endgültige Bewertung bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen abgeben kann. Die interessanten Fragen werden sein, wo sich das Präparat angesichts der bereits verfügbaren Optionen einordnet. Nachdem die Zulassung für Patienten mit hoher Krankheitsaktivität erfolgte, konkurriert das Medikament aktuell mit Substanzen wie Fingolimod, Natalizumab und letztlich auch Alemtuzumab. Die einfache Einnahme ist sicherlich ein großer Vorteil, der Wirkmechanismus der Substanz, der letztlich innerhalb der ersten 6 Monate nach Einnahme eine strenge Kontrazeption bei Männern und Frauen erforderlich macht, könnte als großer Nachteil für die Substanz angesehen werden.

Ich halte  Cladribin für eine weitere interessante Bereicherung der Therapie der schubförmigen MS, bin aber etwas gespannt, wie diese neue „alte“ Substanz von Patienten und Neurologen angenommen wird.

4 Kommentare

  1. Im Juni/Juli Cladribin!
    Seit dem zwei Schübe!
    Mindestens einer im Zusammenhang mit einer Infektion (Corona).
    Habe sinnfrei viel Geld und Zeit für keinen Erfolg ausgegeben.
    Für mich ist Cladribin völlig sinnfrei!

  2. Hm, also ich sehe die lange Pause bei der Verabreichung eher als Nachteil, denn sollte was Unerwünschtes eintreten, dann kann man nicht einfach absetzen und hoffen, dass sich das wieder einpendelt. Bei Gilenya bspw. kann ein mehr oder weniger starker Mangel an Thrombozyten auftreten, da setzt man das Medikament erst mal ab (nimmt man ja täglich ein), und die Chancen auf Erholung stehen erst mal nicht schlecht. Aber was macht man bei einem Medikament, das man in so großem Abstand einnimmt? Auf den ersten Blick scheint das ja bequem zu sein, aber auch nur dann, wenn nichts dazwischen kommt.

  3. Hallo Professor Mäurer,

    hier und in unterschiedlichsten Artikeln lese ich immer wieder z.B. von “autoimmuner Entzündung“ bei MS und der Autoimmunkrankheit MS.
    Ist inzwischen sicher geklärt/bewiesen, dass es sich bei MS um eine Autoimmunerkrankung handelt?

    Eine Begründung wieso Ms eine Autoimmunerkrankung ist, ist etwas, was ich einen ausführlichen Artikel wert fände.

    Viele Grüße,

    leila

    1. Dass es autoimmun ist ist nicht bewiesen, sondern auch nur ’ne Theorie. Gegenwärtig die etablierteste, aber vielleicht trotzdem nicht richtig. Was jetzt aber auch nicht unbedingt heißen muss, dass die gegenwärtig verfügbaren Medikamente alle nutzlos sind, vielleicht wirken sie ja über ’ne Nebenwirkung.

      Die Diagnose MS bekommt man auch nicht, weil bei der Untersuchung was gefunden wird (von den Schäden im ZNS mal abgesehen), sondern weil man nichts findet, das die Schäden erklären könnte. Also bspw. ein Tumor im MRT oder Viren/Bakterien/whatever im Blut oder in der Liquorflüssigkeit (das Zeug, das man mit der langen Nadel aus ‚m Rückenmarks-Kanal kriegt).

      Gegenwärtig ist es leider tatsächlich so, dass man erstens nicht weiß, ob das wirklich autoimmun ist und zweitens kann man bei keinem einzelnen Patienten sagen, ob er/sie MS hat.

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