Es gibt Neuigkeiten zu Natalizumab (Tysabri®), die man zwar erwartet hatte, wobei es dennoch gut ist, dass nun Klarheit besteht: Im August 2021 wurden die ersten Ergebnisse der NOVA-Studie kommuniziert, die die Wirksamkeit zweier unterschiedlicher Dosierungsintervalle von Natalizumab verglichen hat – nämlich die Standard-Dosierung alle 4 Wochen gegenüber der Dosierung mit verlängertem Dosisintervall alle 6 Wochen. Die NOVA-Studie konnte nun zeigen, dass das verlängerte
Dosierungsintervall (extended intervall dosing, EID – alle 6 Wochen) statistisch ähnlich wirksam ist
wie die Gabe im Standard-Dosierungsintervall (alle 4 Wochen).
Warum ist das von Bedeutung? Nun, seit einiger Zeit nimmt man an, dass die Verlängerung des
Dosisintervalls (man könnte es auch als Reduktion der jährlichen Natalizumab-Gesamtdosis bezeichnen), das Risiko für die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML), die wesentliche Nebenwirkung von Natalizumab, deutlich reduziert (wir hatten dieses Thema im MS-Docblog 2016 schon einmal aufgegriffen). Damals hatte eine retrospektive Datenauswertung des amerikanischen TOUCH-Registers (ein von der US Food and Drug Administration (FDA) vorgeschriebenes Register mit
mehreren 10.000 Patienten zum Monitoring sicherheitsrelevanter Aspekte unter der Therapie mit
Natalizumab) ergeben, dass ein verlängertes Dosierungsintervall mit einem signifikant niedrigeren
PML-Risiko einhergeht als eine Therapie mit dem zugelassenen Dosierungsintervall. Die aktuelleste
Analyse dieses Registers gibt mittlerweile eine 88 %ige Risikoreduktion bei Verlängerung des
Dosierungsintervalls an.
Folgen einer Verlängerung des Dosisintervalls unklar
Die Auswertung des TOUCH-Registers konnte allerdings keine Aussagen über die Wirksamkeit von
Natalizumab bei Verlängerung des Dosisintervalls machen. Es blieb unklar, ob und bei wie vielen
Patienten nach einer Verlängerung des Dosierungsintervalls die MS wieder aktiv wurde. Trotzdem
fand ein Hinweis zur Reduktion des PML-Risikos bei erweitertem Dosierungsintervall bereits Eingang
in die Fachinformation: „Es wird angenommen, dass ein im Vergleich zum zugelassenen
Dosierungsintervall verlängertes Tysabri®-Dosierungsintervall (durchschnittlich etwa 6 Wochen) bei
anti-JCV-Antikörper-positiven Patienten mit einem geringeren Risiko für PML einhergeht. Bei
Anwendung eines verlängerten Dosierungsintervalls ist Vorsicht geboten, da die Wirksamkeit eines
verlängerten Dosierungsintervalls nicht erwiesen und das damit verbundene Nutzen-Risiko-Verhältnis
derzeit nicht bekannt ist.“ Damit wurde das Risiko einer verminderten therapeutischen Wirksamkeit
in die Verantwortung von Arzt und Patient gelegt.
Diese wichtige Informationslücke konnte jetzt durch die NOVA-Studie geschlossen werden. In der
Studie wurde das zugelassene Standard-Dosierungsintervall (standard interval dosing, SID, n = 248)
300 mg intravenös (IV) alle 4 Wochen mit einem verlängerten Dosierungsintervall (extended interval
dosing, EID, n = 251), 300 mg IV alle 6 Wochen verglichen. Für den Studieneinschluss mussten die
Patienten ≥12 Monate im Standard-Dosierungsintervall mit Natalizumab behandelt worden sein.
Beide Gruppen wurden über einen Zeitraum von 72 Wochen verfolgt. Primärer Studienendpunkt war
die Anzahl neuer oder vergrößerter T2-Läsionen, die in der SID-Gruppe bei 0.05 und in der EID-
Gruppe bei 0.20 lag. Der Unterschied war statistisch nicht signifikant (p=0.0755), wie auch die
Unterschiede aller relevanten sekundären Endpunkte. Das Ergebnis der NOVA-Studie belegt somit,
dass eine PML-Risikominimierung durch ein verlängertes Dosierungsintervall nicht zu einer vermin-
derten Wirksamkeit der Natalizumab-Therapie führt. Einschränkend muss aber gesagt werden, dass
mit der NOVA-Studie keine Aussagen darüber getroffen werden können, ob das veränderte
Dosierungsintervall tatsächlich zu einer PML-Risikominimierung führt. Hier können weiterhin nur die
retrospektiven Daten aus dem TOUCH-Register zu Grunde gelegt werden.
Risikominimierungsstrategie bei JCV-Positiven
Vor dem Hintergrund der nun vollständigeren Datenlage kann das verlängerte Dosisintervall als
Risikominimierungsstrategie bei JCV-positiven Patienten angewendet werden. Weiterhin muss jedoch
auch bei einem verlängerten Dosisintervall ein sorgfältiges Monitoring stattfinden. Die Ergebnisse der
NOVA-Studie beziehen sich auf die i.v. Gabe von Natalizumab. Angesichts der ähnlichen
Pharmakodynamik der subkutanen Natalizumab-Injektion kann man das Vorgehen aber auch auf
Patienten übertragen, die mit Natalizumab s.c. behandelt werden.
ich habe noch keine JCV-Antikörper, trotz 4jähriger Behandlung mit Tysabri. Seitdem bin ich im Grunde schubfrei, bemerke aber seit einem Jahr schleichende Progression.
Jetzt schlägt mir der Neurologe ein 6 wöchiges Behandlungsintervall statt 4 Wochen vor.
Der Nutzen daraus erschließt sich mir nicht, zumal meine Behandlung durch häufige Infekte ohnehin oft in einen längeren Intervall läuft.
Im Grunde wäre doch Tysabri generell zu überdenken, oder sehe ich das falsch?