Die Situation aktuell ist ein wenig verwirrend – viele Informationen und Empfehlungen aus verschiedensten Richtungen zur Corona Impfung, hohe Inzidenzen, Alarmismus auf der einen Seite, Forderung nach Lockerungen auf der anderen. Insbesondere für Patienten mit Multiple Sklerose, die ganz spezielle Fragen im Hinblick auf ihre Erkrankung haben, sicherlich keine einfache Zeit. Ich möchte deswegen die Situation für sie etwas ordnen:Wir sehen in Deutschland im Moment eine hohe Infektionstätigkeit mit der Omikron-Variante. Sie ist glücklicherweise etwas weniger pathogen (krankmachend), auf der anderen Seite aber in der Lage, bei nicht wenigen Menschen den Impfschutz zu umgehen (das wird als Immunescape bezeichnet). Sie infizieren sich dann trotz Impfung.
Dennoch steht außer Frage, dass Menschen mit einem vollständigen Impfschutz – und das heißt für mich 3x geimpft (2 x Grundimmunisierung + eine Booster-Impfung) – perfekt gegen eine Infektion mit älteren Varianten wie Delta und immer noch verhältnismäßig gut gegen eine Infektion mit Omikron geschützt sind. Außerdem ist auch klar, dass bei vollständig geimpften Personen schwere oder gar lebensbedrohliche Infektionen effektiv verhindert werden – d.h. die Impfung verhindert zwar derzeit noch nicht die Virusübertragung, aber sie vermittelt einen sehr guten Individualschutz. Diese Aussage gilt auch für Patienten mit Multiple Sklerose, egal ob mit oder ohne Immuntherapie. Bei vollständiger Impfung muss man keine Angst mehr vor der Intensivstation oder gar einer tödlichen Erkrankung haben.
Omikron als Vorgeschmack
Die Omikron-Variante gibt uns wahrscheinlich schon einen Vorgeschmack auf die Zukunft, wenn SARS-CoV2 endemisch wird. Wir werden uns zwangsläufig in der Zukunft mit dem Virus infizieren und eine durch SARS-CoV2 hervorgerufene Erkältungskrankheit durchmachen. Diese Infektionen werden aber dazu beitragen, eine Bevölkerungsimmunität aufzubauen und damit mittelfristig auch die Übertragung des Virus einzudämmen. Um der Bevölkerungsimmunität noch weiter auf die Sprünge zu helfen, ist es wichtig, dass große Teile der Bevölkerung noch einmal einen auf die Omikron-Variante angepassten Impfstoff erhalten. Er wird in jeden Fall für den nächsten Winter von Nutzen sein. Dieses Impf-Update würde ich auch bereits jetzt allen MS-Betroffenen ans Herz legen. Und nachdem was man so hört, könnte ein solcher Impfstoff im April/Mai 2022 zur Verfügung stehen.
Eigentlich könnten wir vor diesem Hintergrund ein wenig entspannen, daran denken, Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen zu lockern, wie es derzeit andere europäische Länder tun. Leider haben wir aber in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine immer noch sehr große Impflücke, v.a. bei älteren Personen. Wir haben demnach immer noch genügend ungeimpfte Mitbürger, die durch eine Infektion – auch mit Omikron – schwer krank werden können. Und auch die häufig gehörte Idee, sich jetzt mit der milderen Omikron-Variante zu infizieren und damit keine Impfung mehr zu benötigen, ist keine gute Idee. Denn der Immunschutz hält nach der Omikron-Infektion nur kurz und schützt auch nicht vor den älteren Varianten wie z.B. Delta. Wenn die mangelnde Impfbereitschaft vieler Millionen Mitbürger auf diesem Niveau bleibt – und nichts deutet daraufhin, dass sich das ändert – werden wir im nächsten Winter wieder Einschränkungen hinnehmen müssen und ich denke das erträgt keiner mehr.
Impflücke schließen
Daher sollten sich im Moment alle Bemühungen vorrangig auf das Schließen der Impflücke konzentrieren. Und ich persönlich denke, es wird ohne eine politische Lösung im Sinne einer allgemeinen Impfpflicht nicht gehen.
Also, das Schließen der Impflücke sollte im Fokus stehen, aber Deutschland diskutiert derzeit eher über die STIKO Empfehlung zur sog. 2. Booster-Impfung (4. Impfung gegen SARS-CoV2). Das ist aus meiner Sicht eher ein zweitrangiges Problem, allerdings durchaus von einigem Interesse für vulnerable Gruppen, zu denen ja auch die Multiple Sklerose-Kranken gehören. Die Empfehlung beruht auf Beobachtungen aus Israel: Hier konnte zwar gezeigt werden, dass die 4. Impfung auch kein Weg ist, die Übertragung und Infektion mit Omikron zu verhindern. Zum anderen wird aber berichtet, dass bei älteren Patienten (> 60 Jahre), deren Booster schon mehr als 4 Monate her ist, eine 4. Impfung das Risiko von symptomatischen Verläufen und Krankenhauseinweisung noch einmal signifikant senkt.
Auf die MS bezogen ist es daher sinnvoll (in Analogie zu den kürzlich gegebenen Empfehlungen zur Behandlung mit antiviralen Medikamenten), MS-Betroffene mit Immuntherapien, die die Impfantwort beeinträchtigen (S1P-Modulatoren, anti-CD20 Antikörper) und noch weiteren Risikofaktoren wie höheres Lebensalter (> 60), deutliche Behinderung durch die MS (EDSS > 6) und/oder schwere internistische Begleiterkrankungen ein 4. Mal mit den aktuell verfügbaren Impfstoffen zu impfen, falls die Booster-Impfung schon einige Monate her ist (> 4 Monate). Diese Gruppe von MS- Betroffenen kann sich durch die aktuelle STIKO-Empfehlung angesprochen fühlen und sollte zusammen mit ihren Behandlern eine Entscheidung für eine 4. Impfung (noch vor Verfügbarkeit eines Impfstoff-Updates) treffen.
Ich hoffe diese Zusammenfassung bringt etwas Klarheit in die aktuelle Diskussion. Bevor ich aber zum Ende komme noch ein Kommentar zu einer weiteren STIKO-Empfehlung dieser Woche, nämlich der Empfehlung des Novavax-Impfstoffes (Nuvaxovid) für Personen ab 18 Jahren. Bei Nuvaxovid handelt es ich um einen proteinbasierten Impfstoff, der innerhalb seiner Phase III Studien eine gute Wirkung gezeigt hat, wobei die Studien vor Auftreten der Omikron-Variante durchgeführt wurden. Ich persönlich sehe keinen Vorteil dieses Impfstoffes gegenüber den verfügbaren und schon millionenfach verimpften mRNA Impfstoffen. Auch das Argument man hätte jetzt erstmals einen „Totimpfstoff“ ist keine Abgrenzung gegenüber den bereits vorhandenen Impfstoffen, die ebenfalls nicht vermehrungsfähig sind und somit auch als „Totimpfstoffe“ bezeichnet werden können. Wenn die Verfügbarkeit dieses proteinbasierten Impfstoffes allerdings einige Skeptiker zur Impfung bewegt, dann sei es recht.
Vielen Dank für diese Informationen. Bei den zitierten Beobachtungen aus Israel wüsste ich gerne mehr. Gibt es da einen Link oder eine Quellenangabe?
Ich wurde Anfang November „geboostert“, bin Anfang 50 und nehme keine MS-Medikamente. Stattdessen sehe ich Urlaube auf den Kanaren auch als tolle Medizin und möchte so auch jetzt möglichst bald dem Winterwetter entkommen. Außerdem singe ich gerne im Chor und bin beim Rehasport angemeldet. Zum Rehasport gehe ich aber gerade nicht, weil beim Sport alle die Masken abnehmen, was mir bei den aktuellen Zahlen aber unheimlich ist. Im Chor setze ich aus denselben Gründen gerade auch aus (dabei geben die sich da auch viel Mühe, es korrekt zu machen). Und jetzt vor dem nächsten Urlaub frage ich mich bzw. aktuell auch Sie, ob es sicherer wäre, wenn ich mir davor die 4. Impfung hole. Spricht etwas dagegen?
Es ist ja wirklich eine Erleichterung, nach den bisherigen 3 Impfungen nicht mit Tod oder schwerer Erkrankung rechnen zu müssen, aber ich möchte – auch als Freiberuflerin, denn so schnell kommt da im Fall eines Falles ja auch nicht das Krankentagegeld von der Versicherung – eben möglichst überhaupt nicht erkranken, auch will ich mir ja nicht noch eine Corona-Fatigue einhandeln, die MS-Fatigue reicht mir schon völlig…
Oben wird ja auch eine politische Meinung formuliert, die ich so auch teile. Aber hier ist für mich konkret von Interesse, ob sich mit einer 4. oder später einer Omikron-Impfung weitere Spielräume ergeben. Kann ich die geplanten oder gewünschten Aktivitäten mit den jetzt möglichen neuen Impfungen weiter absichern?
Vorab: Ich selbst tendiere dazu, vor dem möglichst bald zu startenden nächsten Urlaub die 4. Impfung mitzunehmen, informiere mich vorher aber eben möglichst gründlich. Sollte die Studienlage ergeben, dass eine 4. Impfung in meiner Konstellation kaum mehr Schutz bringt, könnte ich auch die Impfung, die dann Omikron enthält abwarten. Und da wäre dann noch der Zeitpunkt zu prüfen, denn bis die da ist, sind ja auch die Temperaturen günstiger. Wenn also auch da der Impfschutz mit der Zeit nachlässt, könnte ich also den Herbst abwarten. Aber seit November hat der Impfschutz ja vermutlich auch schon wieder etwas nachgelassen, was dann doch für die 4. Impfung spricht.
Oder was meinen Sie? Vielen Dank schon jetzt für Ihre Antwort!
Auch ich danke für den guten Überblick, der mir sehr hilfreich und nützlich für meine Entscheidung war und ist: Im Dezember ’21 geboostert, werde ich nun das auf die Omikron-Variante angepasste Impf-Update im April/Mai 2022 abwarten.
DANKE 🙏
Danke für diesen Beitrag. Habe wieder einen Nutzen für mich daraus gezogen und werde mich zum vierten Mal impfen lassen.