Tysabri – es gibt keine 2-Jahres-Grenze für die Therapie

„Tysabri® kann man doch nur 2 Jahre geben.“ – Diesen Satz höre ich ziemlich oft, und er ist definitiv nicht richtig! Natalizumab kann letztlich lebenslang gegeben werden, oder – vielleicht etwas realitätsnäher formuliert – man kann Tysabri® so lange geben, wie Arzt und Patient von der Wirkung des Medikamentes überzeugt und bereit sind, das Risiko potentieller Nebenwirkungen zu tragen. Aus ärztlich-wissenschaftlicher Sicht heißt das – so lange eine sorgfältige Nutzen-Risiko Abwägung für die Gabe des Medikamentes spricht.

Natalizumab (Tysabri®) dürfte den meisten MS Patienten ein Begriff sein. Es ist der erste monoklonale Antikörper, der 2006 für die Therapie der schubförmigen MS zugelassen wurde. Hinsichtlich seiner Wirksamkeit war dieses Medikament ein Durchbruch. Es zählt zu den wirksamsten Medikamenten, die wir zur Verfügung haben und es gibt – aus meiner eigenen Erfahrung – wenige Patienten, die nicht von dieser Therapie profitieren.

Aber wie es häufig in der Medizin ist – diese sehr gute Wirksamkeit bekommt man nicht umsonst. Die Gabe von Natalizumab, die unmittelbar kaum Nebenwirkungen und Verträglichkeitsprobleme hat, ist mit einem erhöhten Risiko für die progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) verbunden – eine Virusinfektion des Gehirns, über die ich schon häufiger in diesem Blog geschrieben habe.

Die PML ist bei allen Immuntherapien ein grundsätzliches, aber sehr seltenes Risiko, das in Einzelfällen auftreten kann. Unter Natalizumab-Therapie muss aber mit einem systematischen Auftreten der PM gerechnet werden, das man – auf die Gesamtheit aller Patienten bezogen – mit ca. 1: 250 – 1:500 beziffern kann. Das bedeutet, dass es sich zwar um eine seltene, aber letztlich schwerwiegende und ernste Nebenwirkung handelt, denn eine PML kann schwere Schäden verursachen.

Daher war es sehr wichtig – und ist es auch nach wie vor – Faktoren zu identifizieren, die mit einem erhöhten Risiko für diese schwerwiegende Nebenwirkung verknüpft sind. Der wichtigste Faktor ist, ob man überhaupt jemals Kontakt mit dem JC Virus (verursacht PML) gehabt hat, denn – um es einfach auszudrücken – wenn man das Virus nicht in sich trägt, kann man auch keine PML bekommen.

Um zu klären, ob man sich irgendwann im Leben mal mit dem JC Virus infiziert hat, bestimmt man die körpereigenen Antikörper gegen das Virus. Wenn man Kontakt hatte, ist der Antikörpertiter positiv; wenn nicht, dann ist man negativ – und bei negativen Patienten ist das Risiko, unter Natalizumab eine PML zu entwickeln, außerordentlich gering.

Es ist – das muss aber gesagt werden – nicht gleich null. Daher muss man unbedingt auch auf negative Patienten aufpassen. Außerdem sollte man regelmäßig kontrollieren, ob der Antikörpertiter negativ bleibt, denn man kann sich ja auch noch unter der Therapie mit Natalizumab mit dem Virus infizieren. Auf jeden Fall kann man aber – um zur Anfangsfrage zurückzukommen – JCV negative Patienten länger als zwei Jahre mit Natalizumab therapieren. Und man sollte das auch so lange tun, wie man eine zufriedenstellende  Wirkung erzielt – und das kann aus eigener Erfahrung viele, viele Jahre der Fall sein.

Bei JCV-Antikörper positiven Patienten ist die Lage anders. Sie haben ein PML Risiko in der oben angegeben Größenordnung. Nun hat man gesehen, dass, wenn man das PML Risiko gegen die Zeit der Therapie aufträgt, das Risiko für eine PML besonders im ersten, aber auch im zweiten Therapiejahr relativ gering ist. Nach dem zweiten Therapiejahr steigt das Risiko aber deutlich an und liegt dann bei ca. 1:200. Wenn man vorher eine klassische Immunsuppressive Therapie hatte (z.B. Mitoxantron oder Azathioprin), kann das Risiko sogar bis auf ca. 1:90 ansteigen.

Aufgrund dieses Risikoanstieges nach zwei Jahren hat sich irgendwie in vielen Köpfen festgesetzt, dass man Natalizumab bei JCV-Antiköper positiven Patienten nach zwei Jahren absetzen „muss“. Aber diese Aussage ist falsch. Richtig ist in diesem Fall eine rationale Nutzen-Risiko Analyse, die man zusammen mit seinem Patienten durchführen sollte. Meistens werden heutzutage Patienten mit Natalizumab behandelt, die einen schweren MS Verlauf hatten und ein starkes Medikament zur Kontrolle der Erkrankung benötigen. Viele dieser Patienten sind bereit, das oben genannte Risiko zu tragen, wenn sie nach einer hohen Aktivität der Erkrankung erlebt haben, wie es ihnen mit dem Medikament geht. Dann sollte auch der behandelnde Arzt diesen Wunsch mittragen. Es gibt aber auch Fälle, in denen der Patient ein solches Risiko scheut – dann ist es richtig, die Therapie zu beenden. Also letztlich wird die Dauer einer Natalizumab-Therapie in hohem Maße durch die Risikowahrnehmung des Patienten und dessen persönliche Nutzen-Risiko Abwägung bestimmt.  Wenn man die Natalizumab-Therapie absetzt, ist es ganz entscheidend, für die Zeit danach eine adäquate Alternative anzubieten. Was hier in Frage kommt, werde ich in einem der nächste Artikel diskutieren.

17 Kommentare

  1. ich nehme seit 10 Jahren Tysabri und habe 10 Jahre keinen Schub mehr gehabt. Ich vertrage es sehr gut. Mein Arzt will dass ich das Medikament absetzen wegen der PML. Der Arzt meint dass die Ms mit 58 Jahren nicht mehr so aktiv ist. Ich bin Verzweifelt ich will Tysabri weiterhin nehmen. Was kann ich tun?

  2. Hallo..

    Ich muss ganz ehrlich sagen das ich schon etwas Angst habe tysabri weiter zu nehmen. 23 Monate habe ich das schon genommen und es ging mir soweit gut.

    Ich habe das j c Virus und habe Momentan 0,9 von 1000 die Wahrscheinlichkeit pml zu bekommen und seit dem bin ich ratlos.

  3. bei meiner Tochter (23) wurde vor 2 Wochen MS festgestellt es fing an mit einer Endzündung im Kleinhirn… sie ist jetzt in der Reha sie kann wieder laufen sprechen es geht bergauf … es war ein riesen Schock für mich… sie hat schon einmal Natalizumab bekommen… ich hoffe das wir so was nie mehr erleben müssen !

  4. Hallo !
    Ich habe MS seit 2001, 6 Wochen nach der Geburt mein Kindes. Wie es war brauche ich hier niemanden beschreiben….HÖLLE !!
    Ich begann Fleisch nach der Diagnose mit Betaferon, danach Copaxone, Avonex, Rebif 22 u. 44 micgrogramm und dann wieder Avonex. Dazwischen Mitoxantron-Therapie sowie Plasmapheraese. Trotz dieser unterschiedlichen Therapien hatte ich in dieser Zeit 18 !!!!! Schübe.
    Sie waren schwerwiegend. Von Gesichtslähmungen, 100% ige Erblindung, Gefühllosigkeit, massive Gangstörungen bis hin zu 2 Wochen im Rollstuhl. Heute sieht mir kein Mensch an das ich das alles durchlebt habe, da mir trotz der vielen Schübe, äußerlich nichts zurückblieb …GSD !!
    Dann stellte mich mein Arzt 2008 auf Tysabri um und ich hatte seither keinen einzigen Schub !!!
    Jedoch wurde bei mir im Februar 2016 festgestellt, das ich auf Grund der besagten Antikörper ein hohes Risiko auf PML habe.
    Nun werde ich in ein paar Wochen umgestellt und selbst die Ärzte wissen nicht, auf welche Therapie.
    Aber ich vertraue meinen Ärzten und bin guter Dinge, das sie für mich das „passende“ Medikament finden werden !
    NEVER GIVE UP !!!!!

  5. 2009 wurde bei mir „MS“(Multiple Sklerose) diagnostiziert.
    Ich habe habe am Anfang Betaferon bekommen dann wurde mir aber Tysabri gegeben, 1 Jahr lang dann wurde es wieder abgesetzt.
    Mir ging es zu der Zeit unglaublich gut, ich hatte keinerlei Probleme mit meinem Gangbild, konnte sogar wieder joggen bzw. rennen. Das Medikament „Tysabri“ wird bei meinem Krankheitsbild (Multiple Sklerose mit sekundär-chronischem Verlauf mit Pallhypesthesie, kognitive Defizite, skandierende Sprache, sakkadierte horzontale Blickfolge) nicht mehr verschrieben. Warum?

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