Selbstbestimmung?!

Ich hatte letzte Woche in meiner Sprechstunde dreimal die gleiche Fragestellung, die mich nachdenklich gemacht hat. Kurz zum Sachverhalt: Drei Patientinnen mit aktiver schubförmiger MS, die Mitte der 2000er begonnen hat. Bei allen drei war die Basistherapie mit Interferonen und Copaxone nicht in der Lage, die Erkrankung ausreichend zu kontrollieren, was zu leichten motorischen Einschränkungen geführt hat. Alle drei Patientinnen wurden auf Natalizumab eingestellt. Mittlerweile beträgt die individuelle Therapiedauer zwischen 9 und 11 Jahren – es sind keine Schübe mehr aufgetreten, die MRT-Kontrollen waren stabil und die Gesamtsituation hat sich aufgrund der Stabilität deutlich entspannt, sowohl beruflich als auch privat. Nun sind alle drei Patientinnen positiv auf das JC-Virus getestet und haben einen JCV Index zwischen 3 und 4.

Aufgrund der langen Therapiedauer und dem JCV Index > 1.5 gehören alle drei zur „Hochrisikogruppe“, was die Entwicklung einer PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) angeht. Das Risiko beträgt ungefähr 1: 80 – 100. Alle Patientinnen sind sich dieses Risikos voll bewusst und sind ausreichend über die schwerwiegende Nebenwirkung aufgeklärt. Dennoch möchten alle drei die Therapie mit Natalizumab fortführen.

Alle drei Patientinnen sind mit diesem Wunsch bei ihren behandelnden Ärzten angeeckt. In einem Fall hat es sogar dazu geführt, dass eine Patientin überhaupt keine Therapie mehr erhalten hat – eine Entwicklung, die weitaus gefährlicher für die Patientin war, als die Fortführung der Therapie.

Man muss auch die ärztliche Seite verstehen – der oberste Grundsatz ärztlichen Handels ist nicht zu schaden („primum nihil nocere“). Daher ist die Zurückhaltung die Natalizumab-Therapie fortzuführen, nachvollziehbar und die Diskussion über Therapiealternativen sinnvoll. Dies sollte aber nicht unbeugsam geschehen und, wie in dem einen Fall, mit einer Kränkung und dem Abbruch der Arzt-Patient Beziehung enden.

Wenn man Patienten-Autonomie ernst nimmt, muss man eine Situation – wie oben geschildert – „aushalten“. Wenn ein Patient, in Kenntnis des Risikos, nach reiflicher Überlegung zu einem bestimmten Schluss kommt, so geht das prinzipiell in Ordnung. Wobei natürlich auch der Patient aushalten muss, dass sein Arzt anderer Meinung ist.

Zum Bruch der Arzt-Patient Beziehung sollte eine inhaltliche Differenz keinesfalls führen. Viel sinnvoller ist es, im Gespräch zu bleiben und sich entweder auf Alternativen zu einigen (die es immer gibt) oder zusammen Risikominimierungsstrategien zu suchen. Letztlich geht es um das Wohlbefinden unserer Patienten.

4 Kommentare

  1. Es ist sehr schwer einen Neurologen zu finden, der den Weg ohne Basistherapie mitgeht. Mrt’s oder andere Untersuchungen werden einem leider weiterhin verwehrt. Aber nach 17 Jahren MS Diagnose (insg. 4 Schübe, nach Kortison Gabe keine dauerhaften Einschränkungen) habe ich endlich eine Neurologin finden können, die ganz klar sagt: es ist am Ende die Entscheidung des Patienten, der Arzt kann nur einen rat geben. Also ca. der 100. Arzt bringt das notwendige Verständnis auf.

  2. „Wenn man Patienten-Autonomie ernst nimmt, muss man eine Situation – wie oben geschildert – „aushalten“. Wenn ein Patient, in Kenntnis des Risikos, nach reiflicher Überlegung zu einem bestimmten Schluss kommt, so geht das prinzipiell in Ordnung. Wobei natürlich auch der Patient aushalten muss, dass sein Arzt anderer Meinung ist.“

    Dieser Satz ist wirklich wertvoll! Und zwar dann, wenn er auch gilt, wenn ein Patient keine Basistherapie anwenden möchte.

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