Schwangerschaft und hochwirksame MS-Therapie

Ich hatte über das Thema Schwangerschaft und MS schon einige Beiträge gepostet, auf die ich hier auch verweisen möchte (z.B. Schwangerschaft und Stillzeit). Es gab nun auf dem letzten ECTRIMS Meeting zu diesem Thema einige interessante Neuigkeiten, die ich aufgreifen möchte.

Die Schwangerschaft an sich hat ab dem 2. Trimenon einen protektiven Effekt auf die MS, allerdings steigt das Risiko für Krankheitsaktivität nach der Entbindung (=postpartal) wieder an. Vor allem haben diejenigen Frauen ein erhöhtes Risiko für postpartale Schübe, die bereits vor der Schwangerschaft instabil waren und Krankheitsaktivität gezeigt haben. Daher ist es bei der Beratung von Frauen mit Kinderwunsch wichtig sicherzustellen, dass die Erkrankung gut kontrolliert ist, bevor eine MS-Betroffene schwanger wird. Insbesondere, weil die meisten Frauen während der Schwangerschaft keine Medikamente einnehmen wollen bzw. dürfen und ihre MS-Therapien in den meisten Fällen absetzen.

Strategie für Schwangerschaft bei Frauen mit aktiven Verläufen

Im Falle einer moderaten MS ist dies kein Problem, meist reicht in einem solchen Fall der protektive Effekt der Schwangerschaft aus. Bei aktiven Verläufen, die in der Regel mit hochwirksamen Therapien behandelt werden, kann das Aussetzen der MS-Behandlung aber ein Problem darstellen. Aus diesem Grund ist es wichtig, für diese Situation eine Strategie zu haben. Für Natalizumab (Tysabri) konnte eine solche Strategie entwickelt werden: In der Regel gibt man heutzutage Natalizumab in der Schwangerschaft mit verlängertem Dosisintervall weiter und setzt die Medikation erst im letzten Trimenon ab. Allerding ist Natalizumab (aufgrund seines Nebenwirkungsprofils) aktuell als hochwirksame MS-Therapie nicht mehr so weit verbreitet. Das bei weitem am häufigsten verwendete Konzept zur Behandlung der hochaktiven MS ist die B-Zell Depletion – und zu B-Zell Depletion und Schwangerschaft gibt es jetzt einige neue Daten, die strategisch von großer Bedeutung sind.

Schwangerschaft unter Therapie mit B-Zell Depletion

So wurden Daten von 103 schwangeren Frauen aus insgesamt 13 klinischen Studien des Ocrelizumab-Studienprogramms ausgewertet. Interessanterweise blieb die MS-Krankheitsaktivität vor und während der Schwangerschaft, aber auch in der postpartalen Phase niedrig. D.h., der eigentlich zu erwartende postpartale Anstieg der Schubrate blieb in dieser Gruppe aus. Das bedeutet, dass Frauen, die während einer Therapie mit Ocrelizumab schwanger wurden, recht gut vor neuer Krankheitsaktivität geschützt waren (Vukusic S et al., ECTRIMS 2024; P591). Parallel zu diesen Ergebnissen zeigte das Schwangerschafts-Register mit ca. 4.000 registrierten Schwangerschaften im Zusammenhang mit einer Ocrelizumab-Therapie, dass eine Exposition das Risiko für unerwünschte Ereignisse während der Schwangerschaft oder beim Säugling im Vergleich zur Normalbevölkerung nicht erhöhte (Dobson R et al., ECTRIMS 2024; P085).

Noch genauere Daten im Hinblick auf die Auswirkungen einer Ocrelizumab-Exposition während der Schwangerschaft lieferte die Phase IV-Studie MINORE, die die plazentare Übertragung und die B-Zell-Spiegel bei Säuglingen nach möglicher Ocrelizumab-Exposition während der Schwangerschaft untersuchte. Es zeigte sich, dass eine Exposition die B-Zell-Konzentration beim Säugling nicht veränderte. Im Nabelschnur-Serum bei der Geburt als auch im Serum des Säuglings in der 6. Lebenswoche war Ocrelizumab in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht nachweisbar, was einen minimalen Plazentatransfer und eine geringe in utero-Exposition nahelegt (Hellwig K et al., ECTRIMS 2024; P087). Schließlich wurden noch die Daten der prospektiven, multizentrischen Phase-IV-Studie SOPRANINO auf dem letzten ECTRIMS präsentiert. Diese Studie untersuchte die B-Zell-Spiegel von Säuglingen und eine mögliche Übertragung von Ocrelizumab in die Muttermilch von stillenden Frauen. Es fand sich vernachlässigbare Übertragung des Anti-CD20-Antikörpers in die Muttermilch, die B-Zell-Werte der Säuglinge lagen im Normbereich. Im Serum der gestillten Säuglinge ließen sich zudem keine messbaren Ocrelizumab-Konzentrationen nachweisen. Gesundheitszustand und Entwicklung der Säuglinge im ersten Lebensjahr war normal (Bove R et al., ECTRIMS 2024; O039).

Positive Studiendaten

Zusammengenommen eröffnen diese Daten nun eine klarere Strategie im Hinblick auf B-Zell depletierende Therapien und Schwangerschaft. Letztlich zeigt sich, dass Frauen in allen Phasen der Schwangerschaft durch Ocrelizumab gut geschützt sind. Die Daten zeigen zudem, dass eine Auswaschzeit und eine temporärere Notwendigkeit zur Empfängnisverhütung nach der letzten Ocrelizumab-Dosis nicht notwendig sind. Darüber hinaus ist auch ein Einsatz der Therapie in der Stillzeit möglich. Es ist daher zu hoffen, dass auf der Basis dieser neuen Erkenntnisse eine Zulassungserweiterung stattfindet und Ocrelizumab als sichere Option für schwangere und stillende Frauen eingetuft wird. Dies würde die Familienplanung unter einer hochwirksamen Therapie deutlich vereinfachen.

Ein Kommentar

  1. Sehr geehrter Prof. Dr. Mäurer,

    Vielen Dank für Ihre informativen Beiträge, die mir das Gefühl geben, immer auf einem aktuellen Stand zu sein, was die MS Forschung angeht. Das Thema Kinderwunsch schwirrt mir im Kopf herum und die Studienergebnisse sind sehr erhellend.

    Viele Grüße

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