Osteopathie bei MS – Sinn und Unsinn?!

Bei der Osteopathie handelt es sich um eine komplementäre medizinische Methode, also eine Behandlungsmethode. Sie basiert auf einem alternativen Modell der Krankheitsentstehung als die heutzutage praktizierte, naturwissenschaftlich begründete Medizin.Das Prinzip der Osteopathie geht auf den amerikanischen Landarzt Andrew Taylor Still zurück. Er vertrat die Annahme, dass Fehlstellungen von Muskeln und Gelenken zu Krankheiten führen. Korrigiere man diese Fehlstellungen durch sanften Druck und löse angebliche Blockaden von Muskeln und Gelenken, so wäre der Körper (z.B. durch eine verbesserte Blutversorgung) in der Lage, sich selbst zu heilen. Diese alternative Herangehensweise war im damaligen Zeitalter der sog. „heroischen Medizin“, als Ärzte Techniken wie den Aderlass oder Schwermetalle nutzten und den Patienten in den meisten Fällen eher schadeten als nutzten, ein nachvollziehbarer Gedanke. Die Frage ist allerdings, ob dieser Gedanke in der heutigen Zeit einer modernen Medizin mit Evidenz-basierter Nutzen-Risiko-Analyse noch sinnvoll ist.

Wirksamkeit der Osteopathie?

Die Technik, die Still selbst angewendet hat, konzentrierte sich vorwiegend auf Muskeln und Knochen – daher auch der Name Osteopathie (=Knochenleiden). Diese Technik, die sich auf den Bewegungsapparat fokussiert, wird heute als parietale Osteopathie bezeichnet. Dass die parietale Osteopathie, bei der die Muskeln gedehnt werden, z.B. bei Rückenschmerzen funktionieren kann, ist durchaus nachvollziehbar. Neben der parietalen Osteopathie gibt es aber noch zwei weitere Teilbereiche, die praktiziert werden: nämlich die viszerale und die kraniosakrale Osteopathie. Allerdings beruhen beide Ansätze auf unbelegten und teilweise abstrusen Annahmen.

Wie viele andere alternative Methoden soll auch die Osteopathie bei einer Vielzahl von Beschwerden und Erkrankungen hilfreich sein, auch wenn diese Erkrankungen vollständig unterschiedliche pathophysiologische Grundlagen haben. Schaut man allerdings nach, inwieweit diese Behauptungen mit einer wissenschaftlichen Evidenz zu belegen sind, so ist dies äußert ernüchternd. Die belastbarsten Daten existieren noch bei den Rückenschmerzen. Ansonsten gibt es keine wissenschaftlich haltbaren Belege für die Wirksamkeit der Osteopathie – das gilt auch für die Wirksamkeit bei Multipler Sklerose.

Osteopathie bei MS nicht sinnvoll

Wer sich ausführlicher mit der Studienlage zur Osteopathie beschäftigen möchte, dem sei eine gut recherchierte Internetseite des WDR zur Osteopathie ans Herz gelegt. (Wie hilfreich ist Osteopathie?). Kann man also eine Methode zur Behandlung der Multiplen Sklerose oder ihrer Symptome empfehlen, für die es weder eine rationale wissenschaftliche Grundlage noch ausreichende Studiendaten zur Wirksamkeit gibt? Ich denke, die Antwort ist aus wissenschaftlich-medizinischer Sicht relativ klar: natürlich nicht! Zur Behandlung der Multiplen Sklerose ist Osteopathie nicht sinnvoll. Man kann sich die Kosten, die meist selber zu tragen sind, sparen.

Dennoch schwören immer wieder Patienten auf die Methode und berichten (insbesondere zu Beginn) von einer Verbesserung ihres Befindens. Und das belegt wiederum, dass die Frage nach Sinn und Unsinn einer Methode nicht so einfach zu beantworten ist. Bei chronischen Erkrankungen, wie der Multiplen Sklerose, ist die empathische Zuwendung zum Patienten enorm wichtig. Ein Faktor, der häufig in der schnellen Taktung einer Neurologen-Praxis oder Spezialambulanz zu kurz kommt. Osteopathen hingegen können sich Zeit nehmen, hören in entspannter Atmosphäre zu und vermitteln das Versprechen einer sanften, nebenwirkungsfreien und „ganzheitlichen“ Medizin. Hierauf beruht die Wirkmacht der Osteopathie, und es ist schade, dass in unserem derzeitigen Medizinsystem die Faktoren Zeit und Empathie oft zu kurz kommen.

Unspezifische Wirkung der Osteopathie

Auf der anderen Seite sollte man sich aber auch als Patient klarmachen, dass es somit in erster Linie die Kontextfaktoren sind, die das „gute Gefühl“ vermitteln. Die Wirkung der Osteopathie ist unspezifisch. Letztlich erhält man einen in Wellness gepackten Placeboeffekt, der zwar auch durchaus wirkmächtig sein kann. Er reicht aber sicher nicht aus, um eine chronische Erkrankung wie die MS zu kontrollieren.

Positiv mag sein, dass die Methode relativ harmlos ist und keine wirklichen Gefahren birgt. Die Gefahr liegt aber darin, den umfangreichen Heilsversprechen der Osteopathie aufzusitzen und deswegen sinnvolle Behandlungsmaßnahmen zu verzögern oder gar zu unterlassen. Daher ist es wichtig, wenn man sich mit Osteopathie behandeln lassen will, dies bei einem osteopathisch ausgebildeten Arzt oder Physiotherapeuten durchführen zu lassen. Er kennt (hoffentlich) die Grenzen der Methode und informiert bei ernsthaften medizinischen Problemen den Patienten seriös und zieht die entsprechenden Fachärzte zu Rate.

Und zu guter Letzt würde ich noch die Frage stellen, ob wir nicht mit der Physiotherapie und der körperlichen Aktivität die viel wirkmächtigeren und sinnvolleren komplementären Methoden zur Verfügung haben. Braucht es da die Osteopathie?


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5 Kommentare

  1. Mir war gar nicht bewusst, dass es so viele verschiedene Arten der Osteopathie gibt, wie zum Beispiel viszerale und kraniosakrale Osteopathie. Ich erst vor Kurzem im Bekanntenkreis davon gehört. Danke für die Aufklärung!

  2. Zu Beginn meiner MS-Kariere habe ich Dank Osteopathie meine Schmerzen im ISG-Bereich mit Osteopathie, von schulmedizinisch austherapiert und stärksten Schmerzmitteln hin zu keine Schmerzen ohne Schmerzmittel, hinbekommen. Die letzten 20 Jahre habe ich Dank Faszientherapie und begleitender Osteopathie nie wieder starke Schmerzmittel benötigt. Meine Ausfälle im motorischen Bereich sind immer wieder in einen guten Ausgleich gekommen. Ich schwöre auf Physiotherapie und Osteopathie. Wichtig ist die Qualität der Behandler. In Frankreich ist Osteopathie seit langer Zeit ein anerkannter und verbreiteter Tharapiezweig. In Deutschland gibt es zuwenig einheitliche Anerkennung der Abschlüsse, meiner Meinung nach.

  3. Ostheopathie ist ausgerichtet auf den ganzen Körper, während eine Ergo oder Physiotherapie nur konzentriert auf ein Problem hinarbeitet. Deshalb gebe ich der Osteopathie mehr Bedeutung. Nur leider findet die Kostenübernahme sinnvoller Therapie irgendwie keinen Platz in unserem Gesundheitssystem. Wissend das die Ursache meist nicht nur von einem Problem ausgeht….
    Und ja Sport und Bewegung löst vielleicht nicht gerade jede Spastik so sinnvoll, abgesehen davon, das viele MS Patienten an Sport und Bewegung nicht mehr teilhaben dürfen, da „schön“ krank….

  4. Ich nutze Osteopathie zur Unterstützung meiner MS-Therapie, wenn Physiotherapie und Ergotherapie nicht ausreichen. Ich weiß, dass Osteopathie mich nicht heilen kann, darauf werde ich von meinem Orthopäden jedes Mal hingewiesen.
    Die Osteopathie hilft mir meine Beweglichkeit zu verbessern, Verspannungen und Krämpfe zu lösen. Das tut mir gut und was mir gut tut, hilft meiner MS-Therapie. Sport bzw. Spaziergänge stehen mehrmals in der Woche auf dem Plan, zu Hause habe ich Haus und Garten, an Bewegung mangelt es nicht. Mein Ziel ist es, so lange wie möglich meine Selbstständigkeit zu erhalten.
    Es sollte jeder für sich entscheiden, ob Osteopathie unterstützend helfen könnte, Leiden zu lindern. Es gibt Krankenkassen, die Osteopathie bezuschussen. Dann ist es nicht so teuer.

  5. Bei einer Schulterproblematik hat mir Osteopathie sehr gut geholfen, aber da ging es eben um eine orthopädische Problematik. Meine ‚verklebte‘ Schulter kann ich wieder uneingeschränkt bewegen. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie der Therapieansatz von Osteopathie bei einer Erkrankung des zentralen Nervensystems sein könnte. Vielleicht lässt sich die Anspannungsproblematik in der Muskulatur etwas verbessern, das trägt natürlich zum Wohlbefinden bei. Sport und Bewegung allerdings auch, ist nicht so teuer, macht aber mehr Mühe. Osteopathie kann meiner Meinung nach kein Ersatz für eine neurologische Behandlung, möglichst in einer Schwerpunktpraxis, sein.

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