Natalizumab – was bedeutet der JCV-Antikörper-Index

Ich bekomme in letzter Zeit häufiger Anfragen von Tysabri-Patienten (Wirkstoff Natalizumab), die sich Sorgen wegen eines hohen JCV-Antikörper-Index machen, der bei Ihnen gemessen wurde.  Daher möchte ich kurz erklären, was es mit dem Index auf sich hat, um MS-Patienten damit eine realistische Einschätzung dieses Wertes zu ermöglichen.Während man früher nur zwischen positiven und negativen Befunden unterschieden hat, kann man heute mit Hilfe des sog. JCV -Antikörper-Index das Ausmaß der Immunantwort bestimmen. Es stellte sich heraus, dass Patienten, die unter einer Tysabri-Therapie eine progressive multifokale Leukenzephalopathie (PML) (s. Beitrag DocBlog zu PML) entwickelt haben, im Mittel einen höheren Antikörperindex aufweisen als Patienten, die über den gleichen Beobachtungszeitraum keine PML entwickelt haben. Bei der statischen Analyse konnte gezeigt werden, dass JCV-positive Patienten mit einem Indexwert von < 0.9 ein sehr niedriges Risiko für eine PML haben, das ist fast vergleichbar mit dem JCV-negativer Patienten. Das heißt, dass der Index in erster Linie hilfreich ist, um Patienten zu identifizieren, die zwar Antikörper-positiv sind, aber aufgrund des niedrigen Index nur ein sehr niedriges Risiko für das Auftreten einer PML haben. Mit dieser Information fällt es dann Arzt und Patient leichter, über die Fortsetzung einer Therapie zu entscheiden.

Nun gibt es aber natürlich auch viele positive Patienten, die einen höheren Index haben. Für alle Patienten, die einen Index von > 1.5 haben gilt, dass mit dem Auftreten einer PML (in Abhängigkeit von der Therapiedauer) mit einem Risiko von 1:100 – 1: 200 zu rechnen ist. Das entspricht der Risikoabschätzung, die in der Vergangenheit grundsätzlich allen JCV-positiven Patienten kommuniziert wurde.

In der Praxis bedeutet das, ist ein Antikörper-Index von > 0.9 nachgewiesen, müssen ab der 24. Gabe von Tysabri (als nach ca. 2-jähriger Therapiedauer) regelmäßige, am besten 3-monatliche MRT-Untersuchungen des Gehirns durchgeführt werden, um eine mögliche JCV-Infektion das Gehirns frühzeitig nachzuweisen und die PML in einem asymptomatischen Stadium zu entdecken, in dem sie in der Regel eine gute Prognose besitzt. Die Höhe des Index spielt für dieses empfohlene Sicherheitsmonitoring keine Rolle mehr – es ist egal ob der Index 1.5 oder 3.5 beträgt, die Konsequenz, die aus den Werten erwächst, ist dieselbe.

Daher ist ein „hoher“ Index von > 0.9 – vor dem Hintergrund des aktuellen Wissens – kein Grund zu mehr Sorge und Aufmerksamkeit als bei JCV-positiven Patienten grundsätzlich angebracht ist. Für Patienten hingegen, die JCV-positiv sind und einen niedrigen Index aufweisen, kann die Sorge vor Nebenwirkungen entschärft werden, wobei natürlich 1) in dieser Gruppe ebenfalls klinische Wachsamkeit angezeigt ist und 2) regelmäßige halbjährliche Kontrollen durchgeführt werden müssen, um den niedrigen Index zu bestätigen – hier gilt das gleiche Procedere wie bei JCV-negativen Patienten.

Positive Patienten mit eine Index > 0.9 müssen übrigens nicht im Verlauf kontrolliert werden – wir haben derzeit die Einstellung: „positiv ist positiv“. Weiterhin macht die Kontrolle des Index bei Patienten, die vor Tysabri eine immunsuppressive Therapie (z.B. Azathioprin, Mitoxantron, Cyclophosphamid etc.) erhalten haben, keinen Sinn. In dieser Gruppe wurde keine Korrelation zwischen Index und PML-Auftreten gefunden.

Mir ist es wichtig, noch einmal zu betonen, dass die Risikoabschätzung eines Medikamentes nicht zu verwechseln ist mit seiner Indikation. Bei hochaktiver MS – und für diese Kategorie ist Tysabri bestimmt – ist das Risiko für erneute Schübe bei suboptimaler Therapie ungleich größer als das Risiko einer Medikamentennebenwirkung. Daher dürfen bei Therapieentscheidungen nicht nur die Nebenwirkungen gesehen werden, sondern auch die Vorteile einer guten Krankheitskontrolle, die die Therapie gewährleistet. Der wesentliche Punkt ist eine realistische Nutzen-Risiko-Abwägung – und zu dieser trägt die Verfügbarkeit des JCV-Antikörper-Index bei.

8 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Mäurer,
    meine MS habe ich schon seit 1992 (schubförmiger Verlauf)
    2005 explodierten meine Symptome (Aufgrund eines Herzinfarktes) und gingen nicht mehr zurück. Habe die Symptome seitdem also permanent (Doppelbilder, Schwindel, ect.)
    Ich erhalte seit 2007 Tysabri (trotz nachgewiesenen JC Virus), welche auch meine seit 1980 bestehende Colitis ulcerosa unter Kontrolle hält.
    Letzt Woche wurde eine „quantitative“ Prüfung meines JC-Virus durchgeführt.
    Er ergab einen „Anti-JCV-Antikörper-Index“ von 10. Also den höchsten Wert.
    Meine Neurologin empfiehlt mir einen sofortigen Umstieg auf Lemtrada in der DRK Kamillus Klinik in 53567 Asbach.
    Ich habe allerdings über viele Schwierigkeiten beim Umstieg von Tysabri auf Lemtrada gelesen.
    Hätten Sie einen Tipp für mich?

  2. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Mäurer,
    was bedeutet in diesem Beitrag etc.? Zitat „…immunsuppressive Therapie (z.B. Azathioprin, Mitoxantron, Cyclophosphamid etc.)“. Die Frage bezieht sich nicht auf die Abkürzung selbst, sondern auf andere Medikamente in der Aufzählung. Genauer würde mich interessieren, ob Dimethylfumarat (Tecfidera) auch zu den immunsuppressiven Medikamenten zählt.

    Mit besten Gruß,
    BB1015

  3. Hallo Herr prof.Dr. M.,
    Ich hatte tysabri knapp 10 Jahre bekommen, dann meinte mein Neurologe das ich auf was leichteres umstellen sollte, weil der jc-virus schon seit dem 2. Jahr bekannt sei ich ließ mich drauf ein und hatte im Februar einen Schub. Krankenhaus Kortison nach Hause geschickt auf gilenya umgestellt. Wieder abgebrochen, weil ich mit dem Bluthochdruck nicht zurecht kam. Jetzt bis 1.7.16 auswaschen und dann wieder tysabri. Grade bekomm ich wieder Kortison. Lauf, sprech,konzemntration ,schwanken zur rechten Seite, alles schlechter und wird mit kotison nicht wie gewohnt besser. Ich weiß nicht was ich davon halten soll. Ich bin über ihren docblock gestolpert und hab festgestellt, dass ich meinen Neurologen festnageln muss meine Fragen beantwortet zu kommen. Sorry, aber sie leisten tolle Arbeit mit dem docblock, auch wenn nicht für alle die gewünschten Themen dabei sind.

  4. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Mathias Mäurer,

    meine Risikostratifizierung unter Natalizumab (Tysabri)-Therapie:
    1. Keine immunsuppressive Vortherapie
    2. Therapiedauer: 25 Monate
    3. JC-Antikörper-Status positiv, anti-JCV Antikörper Titer 1,71, Bestimmung von
    JCV im Liquor negativ
    4. L-Selectin-Status unauffällig (09/2015): 57,4%; (01/2016): 41,5%

    Ende 03/2016 starker Schub, soll kein Tysabri mehr bekommen und auf Lemtrada
    umgestellt werden.
    Ich habe Angst davor!
    Was sagen Sie dazu?

    Vielen Dank!
    Viele Grüße von Frau Niederhöfer

  5. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Mäurer,

    Zwei Fragen drängen sich mir auf:

    Wann bezeichnet der Neurologe eine MS als hochaktiv? Zählt da das Befinden des Patienten oder die Anzahl der Herde im MRT? Denn bei Letzterem gibt es wohl genügend Patienten, deren Hirne der Milchstraße ähneln, diese aber nur wenig körperliche Ausfälle haben. (Wobei wenig Herde an entscheidenden Stellen ganz deutliche Ausfälle hervorrufen können!)

    Werden die 3monatigen Kontroll-MRTs mit Kontrastmittel durchgeführt? Wenn ja, dann muss jeder Betroffene dringend darüber aufgeklärt werden, dass in letzter Zeit die Kontrastmittel als durchaus nicht gerade harmlos in der Wissenschaft betrachtet wurden!! Und man den Einsatz derer wirklich sehr eng stecken sollte. Zumindest nicht alle 3 Monate.

    M.

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