Medikamentöse Therapie – Pragmatismus ist gefragt

„Ich nehme nicht gerne Medikamente“ – diesen Satz höre ich sehr häufig. Ob sie es glauben oder nicht, ich habe absolutes Verständnis für diese Haltung. Denn am angenehmsten ist es sicherlich, wenn man nicht ständig an eine Medikamenteneinnahme denken muss und vollkommen frei und unbelastet ist.

Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen Medikamente, egal ob man sie grundsätzlich ablehnt oder befürwortet, ein Segen sind. Wer einmal am eigenen Leib erlebt hat, wie schlecht es einem bei einer bakteriellen Infektion gehen kann und wie rasch sich nach der Gabe eines Antibiotikums alles wieder zum Guten wendet, der kann nicht ernsthaft bezweifeln, dass Medikamente eine gute Sache sind. Oder denken Sie an die medikamentöse Schmerzbehandlung – es ist doch fantastisch, wenn ein unangenehmer Schmerz nachlässt und man wieder normal im Leben steht. In einer solchen Situation sind auch potentielle Nebenwirkungen erst einmal unwichtig, Hauptsache man ist schmerzfrei.

Auch für die symptomatische Behandlung der Multiplen Sklerose, also die Behandlung von Blasenstörungen, Stimmungsschwankungen, Müdigkeit, Spastik und viele Symptome mehr, gibt es vielversprechende Behandlungsansätze. Zwar ist die Erfolgsquote vermutlich nicht so hoch wie bei der Infekt- oder Schmerzbehandlung, aber es gibt eine Vielzahl von Patienten, bei denen medikamentöse Therapien eine ausgezeichnete Wirkung haben und mit vielen Vorteilen einhergehen, sodass die potentiellen Nachteile nicht von Bedeutung sind.

Das Grundproblem ist nur, wie kann ich Kranke von den Vorteilen einer medikamentösen Therapie überzeugen angesichts der allgemein vorherrschenden negativen Grundhaltung ihnen gegenüber? Häufig ist es so, dass ich vor dem Hintergrund meiner langjährigen klinischen Erfahrung und mit besten Absichten eine Therapieempfehlung ausspreche. Nicht selten wird dann aber erst einmal gegoogelt, was dazu führt, dass das Medikament entweder gar nicht eingenommen wird, oder nach der ersten Tabletteneinnahme sofort alle Symptome auftreten, die der Beipackzettel so hergibt.

So geschehen bei einer jungen Patientin, der ich aufgrund einer starken Fatigue.Symptomatik und starker Antriebslosigkeit ein Antidepressivum aus der Gruppe der Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) empfohlen haben. Meine Erfahrung mit dieser Substanzgruppe in der Behandlung der MS-assoziierten Fatigue/Depression ist durchaus positiv. Viele meiner Patienten, die sich auf meine Empfehlung eingelassen haben, haben profitiert, waren emotional deutlich stabiler und hatten kaum Nebenwirkungen. Leider war das Vertrauen dieser Patientin in meine Kenntnisse nicht groß genug – bei der nächsten Vorstellung war sie zwar noch schlechter beieinander, erklärte mir aber, sie hätte das Medikament „natürlich nicht eingenommen, davon würde man ja Kopfschmerzen, Durchfall und Schlafstörungen bekommen, und wegen der sexueller Dysfunktion ginge das Medikament sowieso nicht“.

Alles nicht falsch – sie hatte den Beipackzettel eifrig studiert – aber leider auch in ihrer persönlichen Situation nicht sonderlich zielführend. Hätte sie sich auf meine Empfehlung einlassen können, hätte zumindest die Chance bestanden, dass sie weniger körperliche Probleme und vielleicht auch wieder mehr Freude in ihrer Partnerschaft gehabt hätte.

Ich würde mir daher bei vielen Patienten mehr Pragmatismus wünschen. Wenn Ihr Arzt ihnen ein Medikament empfiehlt, dann tut er das mit guter Fachkenntnis und bester Absicht – er will Ihnen sicher nichts Böses. Lassen Sie sich doch primär einfach mal auf den Vorschlag ein – vermeiden Sie die meist selbsterfüllende Prophezeiung eines Studiums des Beipackzettels. Wenn Sie das Medikament vertragen und es erfüllt seinen Zweck, dann haben sie etwas Positives erreicht. Wenn es Ihnen nicht gut gehen sollte, teilen Sie Ihrem Arzt diese Beobachtungen mit, stoppen Sie das Medikament, beobachten Sie, ob die Symptome verschwinden. Wenn nein, gibt es möglicherweise einen anderen Grund für die Beschwerden, wenn ja, ist es naheliegend, dass Sie das Medikament nicht vertragen und der Vorschlag Ihres Arztes für Sie persönlich nicht sinnvoll ist. Häufig ist es aber auch klug, noch einmal eine Gegenprobe durchzuführen – d.h. zu schauen, ob die Beschwerden wieder auftreten, wenn ich das Medikament wieder einnehme. Ist das nämlich nicht der Fall, war es vielleicht doch eine konkurrierende Ursache, die „Nebenwirkungen“ hervorgerufen hat.

Dieses Vorgehen ist für mich eine zielführende und pragmatische Herangehensweise. Es gibt kaum Medikamente, die bei einer kurzfristigen Einnahme bleibende Schäden verursachen – und wenn doch, würde Sie Ihr Arzt darauf hinweisen und wahrscheinlich auch sehr genau überlegen, ob Sie dieses Risiko eingehen sollten. Bei den meisten, v.a. in der symptomatischen MS-Therapie, eingesetzten Medikamenten handelt es sich aber um Wirkstoffe mit großer therapeutischer Breite, die man problemlos einfach mal ausprobieren kann.

 

Ein Kommentar

  1. Anbetracht ihrer Erfahrungen mit bestimmten Patienten kann man zwar einerseits nachvollziehen, wieso sie einen Appel zu größerer Offenheit beim Ausprobieren von symptomatischen Therapien lancieren, andererseits wäre es durchaus auch verständlich, wenn man bei solch‘ einer pessimistischen Einstellung besser die Finger davon lässt. Es gibt ja bekanntermaßen neben einem messbaren placebo Effekt auch einen – nahezu genauso großen – „Nocebo“ Effekt. Unter Anderem auch im Hinblick auf prophylaktische MS Therapien…

    https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/31525626
    Warum also irgendwas Neues empfehlen, wenn Patienten eh‘ nicht an eine Wirkung glauben und stattdessen dauernd versuchen, mögliche Nebenwirkungen auf dem Beipackzettel zu spüren. Dann wird das Scheitern im Falle von manchen Skeptikern eine nachweisbare selbsterfüllende Prophezeiung sein, die bestehnde Vorbehalte nur weiter verstärkt..

    Oder ist ihr Idealismus letztendlich stärker als ihr Pragmatismus?

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