„Kleine graue Wolke….“

Ich hatte vor kurzem das Vergnügen, bei der Preisverleihung der Ursula Späth Stiftung der AMSEL dabei sein zu dürfen – eine wirklich schöne und emotionale Veranstaltung. Der diesjährige Medienpreis ging an die Filmemacherin Sabine Marina für ihren Film „Kleine graue Wolke“, in dem die engagierte junge Frau ihre eigene MS-Diagnose verarbeitet. Der Titel rührt daher, dass ihr Arzt die Diagnose MS mit den Worten „Da gibt es eine kleine graue Wolke an deinem blauen Himmel“ umschreibt.

Mich hat diese Art der Diagnosemitteilung im Nachhinein beschäftigt. Kann man das so sagen? Sprachlich vielleicht eine schöne Formulierung, aber eigentlich nicht besonders zutreffend.

Die Mitteilung und Aufklärung über die Diagnose MS ist für die meisten Betroffenen ein einschneidendes Erlebnis. Und auch, wenn die meisten Patienten, wie sie sagen, in dem Augenblick „wie umnebelt“ waren, so prägt sich die Situation und auch die Wortwahl des Arztes bei vielen für immer ein. Man kann in diesem Augenblick als Arzt viel falsch machen, aber sicher auch viel richtig. Daher erfordert eine Aufklärung über die Diagnose Konzentration, vor allem auf die richtige Wortwahl.

MS kann man heutzutage, im Gegensatz zu vielen anderen neurologischen Erkrankungen, therapieren – insbesondere in der Anfangsphase kann man die Erkrankung sogar sehr gut behandeln. Trotzdem ist MS mehr als eine „kleine graue Wolke“, denn es besteht immer das Risiko, dass die Erkrankung auf die eine oder andere Weise das Leben der betroffenen Person nachhaltig verändert. Und immer ist mit der Diagnosestellung eine hohe Unsicherheit und Zukunftsangst verbunden – schon das alleine reicht aus, um das Leben erst einmal komplett auf den Kopf zu stellen.

Wir Ärzte haben die Verpflichtung, diese Ängste abzufangen, Perspektiven aufzuzeigen und einen hoffnungsvollen Blick auf die Zukunft zu richten. Daher ist es richtig und wichtig, das Bild der MS – wie es häufig in den Medien gezeichnet wird und in den Köpfen vieler Menschen existiert – zu relativieren. Daher kann ich die Umschreibung der „kleinen grauen Wolke“ zwar nachvollziehen, aber trotzdem wird sie meiner Meinung nach der Gesamtsituation nicht gerecht – und eine „Verniedlichung“ der Erkrankung ist auch medizinisch nicht zielführend.

Wir klären heute sehr früh über die Diagnose auf – wenn es gut läuft häufig schon nach dem ersten Krankheitsschub. Das heißt, in der Regel müssen wir jungen und ansonsten gesunden Menschen die Diagnose einer chronischen Erkrankung mitteilen. Meist sind sie auch gar nicht mehr akut krank – die Schubsymptomatik ist ja häufig bereits wieder auf dem Weg der Besserung oder sogar ganz verschwunden. Wir klären demnach auch nicht über eine Krankheit im eigentlichen Sinn auf, sondern über ein „Zukunftsrisiko“ – wobei wir das individuelle Risiko in diesem Moment meist nur grob abschätzen können.

Hierin liegt die Schwierigkeit der Aufklärung – wie mache ich jemandem plausibel und verständlich klar, dass er nicht akut krank ist und auch nicht krank werden soll – die neurologische Beurteilung aber ergeben hat, dass seine Lebensumstände vom nicht unerheblichen Krankheitsrisiko der MS bedroht sind? Um seine Gesundheit zu erhalten, ist eine konsequente Therapie erforderlich, denn das Risiko ist ernst zu nehmen. Die Mitteilung dieser Einschätzung und die damit verbundenen Empfehlung einer Dauertherapie wiederum stören aber das Gefühl der Gesundheit und fördern die Wahrnehmung „ich bin krank“ – und damit nicht selten ein Gefühl der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Eine gute Kommunikation bewegt sich wahrscheinlich zwischen „kleiner grauer Wolke“ und „schwerem Gewitter“, sie muss Wege und Perspektiven aufzeigen, die nicht verharmlosen, aber auch nicht bedrohlich wirken. Im besten Fall stärkt eine gute Aufklärung die Eigenverantwortung des Patienten und führt zu Informationsgewinn und Interesse sich zu informieren – und damit zu einer informierten Entscheidung. Denn Lebensqualität und Krankheitsverarbeitung sind in hohem Maße von Selbstbestimmtheit abhängig – und hierfür müssen wir mit einer realistischen Aufklärung den Weg ebnen.

12 Kommentare

  1. Ich habe den Film gesehen und in meiner SHG weitergereicht, wobei ich einige „warnen“ musste. Zu negativ, gerade zu Beginn und die Fotos auch nicht gerade aufmunternd. Nichts für Neu-Betroffene und für „alte-MS-Hasen“ nichtssagend. Den meisten hat er nicht gefallen. Der Arzt der jungen Frau Sabine hätte so eine Verniedlichung wohl sofort etwas anfügen müssen, denn die MS ist ganz und gar nicht niedlich,
    Aufklärung des Patienten ist das A und O zu Beginn. So zwischen Tür und Angel leider zu oft, auch bei mir. Hier ist ein dringender Handlungsbedarf notwendig!!

  2. Ich kenne den Film ‚Kleine graue Wolke‘ nicht, aber ich kann den Erfahrungen meiner ‚Vorschreiber‘ nur zustimmen. Ärzte, die den Patienten mit dem Vorschlaghammer auf den Kopf hauen: ….Sie haben MS, da wissen Sie ja, an was Sie mal sterben…. (so wurde einer Mitpatientin gesagt), zu meinen Beschwerden hieß es in der Reha…. das wird bei Ihnen nicht mehr besser, machen Sie sich mal keine Illusionen. .. (Es wurde damals wieder besser, mittlerweile ist es allerdings übelst). .. Ich frage mich, wie ein Mensch Arzt werden kann, ich denke doch eigentlich mit der Intention, Kranken zu helfen, um dann solche ‚Behandlungen‘ durchzuführen? Ich hatte am Anfang meiner Diagnose bei den Routineuntersuchungen immer das Gefühl, daß (mögliche) Symptome abgefragt werden (kann sie das noch, oder nur eingeschränkt oder gar nicht?) Damals ging es mir noch gut im Vergleich zu jetzt, über eine mögliche Therapie wurde nicht gesprochen und ich hin irgendwann nicht mehr hingegangen, weil ich das Gefühl hatte, daß auf eine Verschlechterung gewartet wurde. Ich hab nach der ersten drastischen Verschlechterung mit Avonex angefangen, nach ca. 1,5 – 2 Jahren aufgehört, weil ich das Gefühl hatte, es bringt nichts, und wegen der Nebenwirkungen. Hab mir dann bei weiterer Verschlechterung ein schlechtes Gewissen einreden lassen (oh, warum haben Sie denn aufgehört mit der Basistherapie, deswegen jetzt die Verschlechterung ) und Gylenia genommen, das hat aber auch nix gebracht, die MS hat weitergemacht. Ich hab für mich festgestellt und beschlossen, KEINE Medikamente mehr zu nehmen, auch kein Cortison. Das hat mir persönlich nur Nebenwirkungen gebracht und keine Verbesserungen bei den letzten 3 Therapien, die letzte war 5 Tage a 2 g. Aber das muß und sollte jeder für sich entscheiden, ich habe für diese Entscheidung auch ein paar Jahre gebraucht.
    Ich empfinde es ein Stück weit als Frechheit, wenn Arzt, MS- Schwester Betroffenen auch noch Angst und ein schlechtes Gewissen machen, wenn man sich GEGEN die Medikamente entscheidet und einem auch noch gesagt wird, daß die Verschlechterung nicht gekommen wäre bei Basistherapie. …. soooo prophetisch?! Und manchmal wünschte ich mir -andere Betroffene vielleicht auch – dieses Gefühl -die Lähmung, Hilflosigkeit, Gefühllosigkeit, Taubheitsgefühle, Spastik, Schmerzen…. kurz alle Symptome, die mich so plagen, mal für einen Monat an so Verständnislose abzugeben: und dann reden wir weiter!

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