Ist Bequemlichkeit ein Argument ….

Ich habe neulich eine junge Patientin beraten – sie ist kürzlich volljährig geworden, es war ihre erste Vorstellung in der Erwachsenenneurologie. Ihre MS hatte schon im 15. Lebensjahr begonnen. Damals erfolgte die Betreuung durch eine Kinderklink. Man hatte ihr Interferon-beta 1a (Rebif) zur Immuntherapie verordnet, sicherlich auch deswegen, weil für diese Substanz eine Zulassungserweiterung für die Behandlung von Kindern vorliegt. Das ist bei nicht volljährigen Patienten immer ein wesentliches Argument bei der Auswahl der Therapie und die Rechtslage ist für Ärzte durchaus ein wichtiger Punkt.

Nun soll es hier nicht um die Zulassung von Medikamenten im Kindesalter gehen, sondern eher darum, dass die 3x wöchentliche Applikation eines Interferons nicht komfortabel ist  – erst recht für Teenager, die ja durchaus andere Dinge im Kopf haben als die Therapie einer chronischen Erkrankung . Die Interferontherapie hatte bei meiner jungen Patientin keine optimale Wirkung gezeigt, die Folge-MRTs hatten immer wieder neue Herdsetzungen gezeigt und klinisch fanden sich Hinweise auf (milde) sensible Schübe.

Während des Beratungsgespräches habe ich sie gefragt, wohl wissend, wie herausfordernd das Spritzen sein kann, ob sie das Präparat überhaupt regelmäßig einnimmt. Nach einigem Zögern (ihre Mutter war mit anwesend) räumte sie ein, das sie die Medikation hin- und wieder auslasse, bzw. auch mal „Pausen“ einlege – sie treibe dafür viel Sport, hätte ihre Ernährung umgestellt und nehme Vitamine.

Aus meiner Sicht ist das eine vorsichtige Umschreibung dafür, dass sie möglicherweise jede Gelegenheit nutzt, das Medikament nicht zu nehmen – und dementsprechend kann es natürlich auch nicht so wirken, wie es wirken soll. Meine Patientin ist auch kein Einzelfall, sondern wahrscheinlich eher die Regel, denn aus klinischen Erhebungen wissen wir, dass die Adhärenz bei vielen MS-Medikamenten nicht besonders gut ist.

Wie soll man jetzt mit der Situation umgehen? Natürlich könnte man alles so belassen, den Zeigefinger heben und fordern, dass das Medikament regelmäßig eingenommen werden muss. Das würde aber wahrscheinlich nichts bringen, und womöglich langfristig auch dazu führen, dass sich meine junge Patientin von der konventionellen Therapie der MS abwendet. Eine solche Situation würde niemandem gerecht.

Dementsprechend ist es wesentlich sinnvoller, unter dem großen Angebot der aktuellen MS-Therapien tatsächlich das Medikament herauszusuchen, das für den individuellen Patienten am erträglichsten ist. Ein Medikament, das „bequem“ ist, das problemlos in den Alltag integriert werden kann und nicht ständig Erinnerungen an eine chronische Erkrankung hervorruft.

Und deswegen ist die Antwort auf die Eingangsfrage auch ein klares „ja“. Bequemlichkeit ist mit ein adäquates Argument für oder gegen eine Therapie. Patienten mit MS, egal wie jung oder wie alt, dürfen, ja müssen einfordern, dass die Bequemlichkeit einer Therapie bei der Auswahl mit berücksichtigt wird – wobei jeder Mensch „Bequemlichkeit“ individuell definieren kann und darf. Eine wichtige Aufgabe des Arztes ist es, den Weg zu einem individuell „passenden“ Medikament zu ebnen (selbstverständlich unter Abwägung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses). Denn niemand hat etwas davon, wenn viel Geld für Medikamente ausgegeben wird, die in irgendeiner Schublade landen – und schon gar nicht von Patienten, die aufgrund unzureichender Behandlung Behinderungen entwickeln.

Fazit: Die „Bequemlichkeit“, oder wie man neudeutsch sagt die „Convenience“ eines Medikamentes, steht für mich bei der Auswahl der Therapie gleichberechtigt neben Wirkung und Sicherheit

3 Kommentare

  1. und was sagen sie patienten, die keine schübe haben und ein stabiles MRT?
    so war es bei mir. die spritzerei von copaxone machte mir zunehmend probleme mit dem unterhautfettgewebe.
    mein neurologe schlug vor, ich könne ja auf eigene verantwortung nur noch halb so oft spritzen.
    mit dem effekt, daß ich auch weiterhin weder schübe noch symptome bekam.
    am ende habe ich die therapie in absprache mit dem neurologen beendet.
    und ich habe inzwischen immer noch keine schübe bekommen – das ist jetzt über 10 jahre her – habe den schritt nie bereut.
    und was sagen sie zu solchen patienten wie mir? sie müssen trotzdem weiterspritzen oder was anderes nehmen?
    ich bin sehr dankbar, einen so umsichtig differenzierenden neurologen zu haben. das findet man heutzutage nur noch selten.

    1. nicht umsonst ist MS die Krankheit der sprichwörtlichen 1.000 Gesichter. Beim einen wird alles gut – beim anderen wird es mit der „Umstellung“ auf den sekundär chronischen Teil richtig schlimm. Also genießen in vollen Zügen (nicht beim Bahnfahren…) und ein wachsames Auge haben, ob sich möglicherweise etwas einschleicht wie etwas Progredientes. Gehört auch zu den Gesichtern :(.

  2. Ich sage nur eines: Amen. Es ist natürlich auch so – dass das „bequemste“ Medikament überflüssig ist – wenn es nichts bringt. Nur umgekehrt wird der „Schuh“ draus. Damit ein Medikament wie vorgesehen wirken kann – muss es wie vorgesehen zugeführt werden. Und das kann nur passieren – wenn es für den Patienten „erträglich“ ist und dieser „Therapietreu“ ist. Also alles wie vorgesehen nimmt oder spritzt.

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