Frauen im gebärfähigen Alter sind, verglichen mit Männern, bei der MS-Therapie unterversorgt. Dies zeigte eine aktuelle Studie. Es besteht ein Gender-Gap beim Gebrauch immunmodulatorischer Therapien (DMT). Dabei müsste dies nicht sein.
Denn: Schwangerschaft und MS schließen sich nicht aus. – Durch eine klug geplante Immuntherapie gelingt es heutzutage in der Regel, Schwangerschaft und Stillzeit trotz MS sicher zu ermöglichen. – Eine signifikante Gefahr für Mutter und Kind muss nicht befürchtet werden: Weder muss die Mutter Angst vor einer Gesundheitsgefährdung durch Schübe nach der Entbindung haben, noch besteht die Schädigung des ungeborenen Kindes durch die Einnahme von Immuntherapien. Siehe auch frühere Berichte auf MS-Docblog über MS-Therapie und Kinderwunsch bzw. Schwangerschaft:
- Schwangerschaft und hochwirksame MS-Therapie
- ECTRIMS 2022 (2) – Schwangerschaft und Stillzeit
- Zulassungsänderung der Interferon-beta-Therapie während Schwangerschaft und Stillzeit
Gender-Gap bei MS-Therapie wissenschaftlich gemessen
Essenziell ist allerdings, dass die MS im letzten Jahr vor Empfängnis stabil ist – denn Frauen mit schlecht kontrollierter Erkrankung und Krankheitsaktivität vor der Schwangerschaft haben ein großes Risiko, in der Schwangerschaft oder post-partal Schübe zu erleiden. Dementsprechend sollten also gerade Frauen im gebärfähigen Alter konsequent und effizient immuntherapeutisch behandelt sein – eine gut kontrollierte MS ist die beste Voraussetzung für eine sichere Schwangerschaft.
Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer kürzlich publizierten französischen Studie (Gavoille et al. Neurology 2025 Aug 26;105(4):e213907) besorgniserregend, denn die Daten zeigen genau das Gegenteil: In der klinischen Realität wird die MS-Therapie durch die Erwartung einer zukünftigen Schwangerschaft dahingehen beeinflusst, dass es im Vergleich zu Männern eher zu einer Unterversorgung mit krankheitsmodifizierenden Therapien (DMT), insbesondere mit hochwirksamen DMT, kommt.
Die Autoren haben insgesamt 22.657 Patienten mit MS in die Studie eingeschlossen, davon waren 16.857 (74,4 %) weiblich. Das mittlere Alter bei Diagnosestellung betrug 29,0 Jahre, die durchschnittliche Beobachtungsdauer betrug 11,6 Jahre. Frauen erhielten signifikant seltener eine DMT. Der Unterschied war bei hochwirksamen Therapien (z.B. anti-CD20 Antikörper) bereits nach 1 Jahr feststellbar, bei den moderat wirksamen Therapien erst nach 2 Jahren. Der Anteil der behandelten Frauen (ab der ersten Entbindung von 5.268 Frauen) begann 18 Monate vor der Entbindung von 42,6 % auf 27,9 % zum geschätzten Zeitpunkt der Empfängnis zu sinken.
Eine auf dem letzten ECTRIMS-Meeting vorgestellte Analyse (Houtchen et al. P589; ECTRIMS 2025) zeigt ähnliche Ergebnisse: Für diese retrospektive Analyse wurden Abrechnungsdaten von IQVIA PharMetrics® Plus von Frauen mit MS im Alter von ≥ 18 Jahren und ICD-10-Diagnosecodes für Lebendgeburten vom 1. Oktober 2017 bis zum 31. Dezember 2023 verwendet. Die Anwendung von DMT wurde während der Zeit vor der Empfängnis (≤ 1 Jahr vor der Empfängnis), der Schwangerschaft (≤ 40 Wochen nach der Lebendgeburt) und ≤ 6 Monaten nach der Entbindung bewertet.
Anstieg bei B-Zell-depletierenden Therapien
Auch hier ergab sich, dass fast die Hälfte der Frauen mit MS während der Zeit vor der Empfängnis (42 %), während der Schwangerschaft (60 %) und nach der Geburt (57 %) unbehandelt war. Erfreulich ist allerdings ein Anstieg der Verwendung von B-Zell depletierenden Therapien, während die Verwendung von DMTs mit geringerer Wirksamkeit zwischen 2019 und 2023 zurückging.
Die spiegelt ein wachsendes Vertrauen in das Nutzen-Risiko-Profil der hochwirksamen Therapien wider. Neuerer Daten zeigen, dass mit den hochwirksamen anti-CD20 Antikörpern weibliche Patienten mit Kinderwunsch in allen Phasen einer Schwangerschaft – von der Empfängnis bis weit in die postpartale Phase – effektiv vor entzündlicher Aktivität geschützt werden können, ohne das dies mit einer konkreten Gefährdung des Kindes einhergeht. Darüber hinaus ist gleichzeitig eine verabreichungsfreie Schwangerschaft möglich.
Trotz dieses positiven Trends ist allerdings angesichts der Daten bei der Behandlung von Frauen mit Kinderwunsch noch deutlich Luft nach oben. Die Daten zeigen, wie wichtig auch weiterhin Aufklärung und Information zum Thema Schwangerschaft und MS bzw. Schwangerschaft und Immuntherapie ist. Dies ist eine Kernaufgabe bei der Behandlung von MS-Patientinnen.






