„Extended Dosing“ bei Natalizumab – eine sinnvolle Strategie zur Senkung des PML-Risikos?

Tysabri® (Natalizumab) ist ohne Zweifel ein sehr wirksames und auch gut verträgliches Medikament zur Behandlung der aktiven Multiplen Sklerose. Sehr viele Patienten haben in der Vergangenheit von der Behandlung profitiert und waren mit der Wirkung und dem individuellen Therapieerfolg zufrieden. Leider hat Natalizumab eine ganz wesentliche und schwerwiegende Nebenwirkung – Patienten mit positivem JC-Virus-Nachweis im Blut tragen das Risiko einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) durch das JC-Virus.

Das Risiko für diese schwerwiegende Viruserkrankung des Gehirns kann in Abhängigkeit von den individuellen Gegebenheiten auf bis zu ca. 1:100 ansteigen – darüber kann man nicht einfach hinweggehen. Und daher möchten viele Patienten, aber auch viele ihrer betreuenden Neurologen, trotz der häufig guten therapeutischen Wirkung, das Medikament so schnell wie möglich loswerden. Das ist aber gar nicht so einfach, denn so viele Alternativen mit einer so guten Wirksamkeit gibt es nicht – und auch bei der Umstellung auf eine anderes Präparat muss man einiges beachten. Deswegen mündet ein Absetzen der Natalizumab-Therapie nicht selten in Problemen.

Aus diesem Grund wird von wissenschaftlicher Seite einiges unternommen, das PML-Risiko von JC-Virus-positiven Natalizumab-Patienten zu senken. Ein Ansatz ist das „extended interval dosing“ – also das Strecken der Dosisintervalle. Natalizumab wird standardmäßig alle vier Wochen als Infusion mit 300 mg gegeben, egal wie groß oder wie schwer ein Patient ist. Man weiß schon länger, dass dieses Regime mehr als ausreichend ist, um die Zielstruktur von Natalizumab (VLA4 auf der Oberfläche von aktivierten Lymphozyten) abzusättigen, bei kleinen und leichten Personen kann diese Dosis als sehr „großzügig“ beschrieben werden.

Daher haben Wissenschaftler in den USA schon vor längerer Zeit untersucht, ob das PML-Risiko ggf. durch Extension des Dosisintervalls über die üblichen 4 Wochen gesenkt werden kann. Bei diesen Untersuchungen konnte beobachtet werden, dass die Patientengruppe, die Natalizumab seltener als alle 4 Wochen erhalten hatte, tatsächlich weniger PML-Fälle aufwies. Allerdings war die Stichprobe zu klein, um diese wichtige Frage verlässlich zu beantworten.

Trotzdem war der Ansatz so interessant, dass der Hersteller zusammen mit den o.g. amerikanischen Wissenschaftlern eine große Natalizumab-Datenbank unter diesem Aspekt untersucht hat. Diese Datenbank – das sog. TOUCH Register – umfasst mehr als 90.000 MS-Patienten, von denen über 35.000 positiv für das JC-Virus waren. Bei diesen „Risikopatienten“ hat man dann drei verschiedene Definitionen angewendet, die eine Behandlung mit verlängerten Dosisintervallen (>5 und < 12 Wochen) von der Standarddosierung (> 3 und < 5 Wochen) abgrenzen.

Das Ergebnis dieser Untersuchung wurde auf der letzten Tagung der American Academy of Neurology (AAN) in Los Angeles vorgestellt und hat gezeigt, dass das verlängerte Dosisintervall (EID = extended interval dosing) mit einem klinisch und statistisch signifikant niedrigeren PML-Risiko als die Standarddosierung (SID = standard interval dosing) bei Anti-JC-Virus (JCV)-Antikörper-positiven Patienten assoziiert ist. In den meisten Fällen wechselten die Patienten nach ca. 2 Jahren vom Standard- auf das verlängerte Dosisintervall, wobei das durchschnittliche Dosierungsintervall für das EID 35-43 Tage im Vergleich zu 30-31 Tagen für das SID lag.

Das Problem ist, dass das TOUCH-Register keine Wirksamkeitsdaten erfasst – deswegen kann nicht sicher gesagt werden, ob die Wirksamkeit von Natalizumab durch das verlängerte Dosisintervall erhalten bleibt. Dafür sind weitere prospektive Studien erforderlich. Es ist aber – auch angesichts der bisherigen klinischen Erfahrung – davon auszugehen, dass eine Verlängerung des Dosisintervalls um ca. 2 Wochen wahrscheinlich keine Auswirkungen auf die Wirkung von Natalizumb haben wird.

Wie soll man jetzt mit diesen Daten umgehen? Das Problem der PML ist durch diese Beobachtung natürlich nicht gelöst. Auf der anderen Seite sind diese Daten so interessant, dass man nicht umhin kommt, sich Gedanken über ein verlängertes Dosisintervall zu machen. Ich denke es könnte helfen, bei JCV-positiven Patienten den Druck herauszunehmen. Im Falle eines Wunsches der Medikamentenumstellung kann man durchaus erst einmal die Dosisintervalle verlängern und dadurch möglicherweise etwas Zeit gewinnen, um die Umstellung planvoll zu gestalten. Vielleicht wird es sogar einige Pateinten geben, die sich mit einer verlängerten Dosis und entsprechenden Sicherheitskontrollen auch bei einer Weiterführung von Natalizumab sicher fühlen.

Trotzdem wäre es wünschenswert, gerade angesichts der Wirksamkeit von Natalizumab , wenn wir in Zukunft stabile Parameter hätten, um das individuelle PML-Risiko zu minimieren.

7 Kommentare

  1. Bei meiner Tochter hat man nach 5 Jahren Tysabri abgesetzt wegen der Schwangerschaft und nach 11 Wochen war sie fast komplett gelähmt. Sofort wieder Tysabri gegeben, neu laufen gelernt (im 5. Monat der Schwangerschaft) und vieles andere auch noch gelernt. Nach 1,5 Jahren das 2. Mal Schwanger geworden und Tysabri NICHT abgesetzt und es gab keine Probleme. Wenn sie mal Krank ist und wir die 4 Wochen überschreiten müssen, merkt sie gleich wieder, das ein Schub im Anmarsch ist.
    Ich glaube, das hat weniger mit den Gewischt oder der Größe zu tun, sondern mehr, wie aktiv die MS ist.
    Meine Tochter (jetzt 24) nimmt bereits seit 7 Jahren Tysabri, sie ist seit 6 Jahren JSV positiv und der Titer schwankt zwischen 3,4 und 3,8.

  2. Ich bin seit 12 Jahren Tysabri Anwenderin und erhalte meine Infusionen seit ca. 9 Jahren alle 6 Wochen. Ich hatte, wegen nicht erklärbar erhöhten Lebenwerten, auch schon mal einen Abstand von 11 Wochen …. ohne negative Auswirkungen. Ich bin JCV negativ … also 0,00 …

  3. „… Bei diesen Untersuchungen konnte beobachtet werden, dass die Patientengruppe, die Natalizumab seltener als alle 4 Wochen erhalten hatte, tatsächlich weniger PML-Fälle aufwies…“

    Geht das neuer oder bedeutet das nur in etwa halb so oft Tysabri bedeutet halb so viele PML-Fälle.
    Das wäre nur logisch, etwa wie halb so oft Koma-Saufen erzeugt halb so oft Kotzerei.
    Aber es wäre signifikant besser weil nur halb so oft PML auftritt, sagt aber nichts aus sondern war zu erwarten.
    Über langfristige Wirksamkeit und den Beweis dass jeglicher Therapie-Erfolg nicht Zufall oder Placebo-Effekt sind kann ja eh keiner etwas sagen.
    Aber schon klar, aus Hersteller-Sicht liber 2-3 Infusionen verkaufen ist besser als keine und man bleibt bei den Leitlinien.

  4. Ich nehme Tysabri seit über 10 Jahren.Ich habe das Medikament längere Zeit nur noch alle 7 Wochen genommen.Mir ging es auf jeden Fall schlechter.Ob es nun wirklich daran lag, kann wohl keiner beantworten.Ich nehme es wieder im 4 Wochen Rhythmus und es geht mir wieder sehr viel besser..

  5. Ich mache das jetzt schon fast 1 Jahr.
    Ich merke durch die Verlängerung keinen Unterschied und mein Arzt ist auch ein wenig entspannter.
    Nehme Tys seit 2006 und bin JC+

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