In der aktuellen Diskussion über die Krankheitsentstehung der Multiplen Sklerose und die darauf basierende Neuentwicklung von Medikamenten taucht immer wieder der Begriff der „Glia-Zelle“ auf? Doch was sind Gliazellen? Was hat es damit auf sich, was ist damit gemeint?
Ich werde im Folgenden ein paar Fakten über zu diesen Zellen zusammenstellen, weil ich glaube, dass es helfen kann, der aktuellen Diskussion über Krankheitsmechanismen, Krankheitsprogression und Medikamentenentwicklung besser zu folgen.
Im zentralen Nervensystem (ZNS, also Gehirn und Rückenmark) unterscheidet man traditionell zwischen Nervenzellen (Neuronen), die für die Signalübertragung (und damit für unser Denken und Handeln) zuständig sind, und den Glia-Zellen, deren Aufgabe es ist, die Neurone in ihrer Funktion zu unterstützen – Glia-Zellen sind somit Helferzellen, die für eine reibungslose Funktion von Nervenzellen (und damit unseres zentralen Nervensystems) unerlässlich sind.
Glia ist somit der Oberbegriff für eine Gruppe von Zellen, die eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit und Funktion von Nervenzellen spielen. Zu dieser Gruppe gehören
- die Astrozyten,
- die Oligodendrozyten und
- die Mikrogliazellen.
Astrozyten: Nahrung reinlassen, Schadstoffe abhalten
Astrozyten sind unterstützende Zellen, die helfen, die chemische und physikalische Umgebung des ZNS zu regulieren. Sie helfen, die Blut-Hirn-Schranke aufrechtzuerhalten, die das Gehirn vor schädlichen Substanzen im Blut schützt, und tragen auch dazu bei, Nervenzellen mit Nährstoffen zu versorgen.
Oligodendrozyten: Myelin-Produktion fördern
Oligodendrozyten sind Zellen, die die Myelinscheide bilden. Ein einzelner Oligodendrozyt sorgt dafür, dass ca. 10 Nervenzellen mit Myelin umhüllt werden. Es handelt sich somit um sehr Stoffwechsel-aktive Zellen, die zum einen für eine reibungslose und schnelle Reizleitung von Nervenfasern sorgen, zum anderen aber auch die Fortsätze von Nervenfasern vor äußeren Einflüssen schützen. Die Proteine der Myelinscheide, also ein Produkt der Oligodendrozyten, sind das primäre Ziel der schädlichen Immunreaktion bei Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose. Eine Wiederherstellung dieser Myelinscheide (Remyelinisierung) gilt als vielversprechendes Therapiekonzept, für das bisher allerdings noch keine zufriedenstellenden Strategien gefunden wurden.
Mikroglia: Immunpolizei und Müllabfuhr
Als Mikroglia bezeichnet man schließlich Immunzellen, die während der embryonalen Entwicklung ins Zentrale Nervensystem (ZNS) eingewandert sind und hier ortsständig wurden. Auch sie spielen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Gesundheit des ZNS. So überwacht die Mikroglia das Gehirn und das Rückenmark ständig auf Anzeichen von Verletzungen oder Infektionen. Wenn ein Problem erkannt wird, werden Mikrogliazellen aktiviert und setzen Zytokine und andere Signalmoleküle frei, die Immunzellen aus der Peripherie anlocken. Darüber hinaus sind Mikrogliazellen dafür verantwortlich, beschädigte Zellen und Zelltrümmer zu entfernen (durch Phagozytose = Auffressen) – sie übernehmen somit die wichtige Rolle der „Müllabfuhr“ im ZNS.
Bei der Krankheitsentstehung der Multiplen Sklerose (MS) spielen Mikroglia-Zellen, als ortsständige Immunzellen, natürlich eine wichtige Rolle. Insbesondere die Überaktivierung von Mikroglia-Zellen v.a. in den späten, progressiven Phasen der Multiplen Sklerose hat diesen Zelltyp zuletzt ins Zentrum des wissenschaftlichen Interesses gerückt. In einer Modulation von Mikroglia-Zellen wird mittlerweile ein vielversprechender Ansatz gesehen, progressive MS-Verläufe positiv zu beeinflussen. Die Medikamenten-Gruppe der Bruton-Tyrosin-Kinase Inhibitoren (BTKi) ist in der Lage, die Mikroglia-Aktivierung zu bremsen und gilt daher als vielversprechender Ansatz, auch bei progredienter MS eine Wirkung zu erzielen (s. entsprechende Beiträge zu BTKi bei MS DocBlog). – Ob dieser Ansatz wirksam ist und wie groß das Ausmaß der Wirksamkeit ist, müssen allerdings klinische Studien, die derzeit durchgeführt werden, erst belegen.