Die Neuromyelitis optica (NMO) – Diagnose und Therapie (1)

Im Jahr 2004 veröffentlichte die amerikanische Neurowissenschaftlerin Vanda Lennon im renommierten Fachmagazin THE LANCET eine aufsehenerregende Beobachtung. Sie konnte im Serum von „MS Patienten“ mit einer besonderen Manifestation der Erkrankung – nämlich einer bevorzugten Schädigung des Sehnervs (N. optikus) und des Rückenmarks (Myelon) – einen Autoantikörper nachweisen, der gegen ein Oberflächenprotein im zentralen Nervensystem (ZNS) gerichtet war.Da diese spezielle Krankheitsmanifestation mit Bevorzugung des Sehnervs und des Rückenmarks auch als Neuromyelitis optica (NMO) bezeichnet wird, wurde der neu entdeckte Autoantikörper zunächst als NMO-IgG bezeichnet – vor allem nachdem mehrere Forschergruppen bestätigt hatten, dass dieser Autoantikörper bei „normalen MS Patienten“ nicht nachweisbar ist.

Einige Zeit später konnte dann auch die Zielstruktur des NMO-IgG identifiziert werden. Der Autoantikörper richtet sich gegen Aquaporin4, einen Wasserkanal in der Zellmembran von Astrozyten, einer Zelllinie im zentralen Nervensystem, die Nervenzellen in ihrer Funktion unterstützt (man bezeichnet solche Zellen auch als Gliazellen). Seither wird die Neuromyelitis Optica Spektrum Erkrankung (NMOSD) als eigenständige Autoimmunerkrankung betrachtet, die von der Multiplen Sklerose differentialdiagnostisch abgegrenzt werden muss. Dabei spielt der Anti-Aquaporin 4 Antikörper (Anti-AQP4) eine überragende diagnostische Rolle.

Diagnosekriterium Anti-AQP4 Antikörper

Der Anti-AQP4 Antikörper ist aber nicht nur diagnostisch wichtig, sondern er ist auch bei der Krankheitsentstehung von wesentlicher Bedeutung. Er ist, wie man in der Fachsprache sagt, pathogenetisch relevant. Man weiß nämlich mittlerweile, dass die Autoantikörper an die Wasserkanäle auf Astrozyten im ZNS binden. Durch die Bindung wird das Komplementsystem (ein System von Plasmaproteinen, das Zellen zerstören kann) aktiviert und dadurch wiederum eine schwere Entzündungsreaktion im zentralen Nervensystem hervorgerufen wird. Diese Entzündungsreaktion findet v.a. in Regionen statt, in denen viel Aquaporin exprimiert wird. Das sind u.a. der Sehnerv und das Rückenmark, aber auch noch andere prominente Regionen im zentralen Nervensystem. Warum manche Menschen diesen Autoantikörper haben, ist allerdings nicht geklärt.

Schübe NMOSD schwerer als bei MS

Wenn der Anti-Aquaporin4 Autoantikörper zu einer Entzündung im zentralen Nervensystem führt, dann ist das häufig für die betroffene Person ein sehr dramatisches Ereignis. Die Schübe einer NMOSD sind meistens deutlich schwerer als die einer MS. So ist es nicht selten, dass eine Entzündung im optischen System zu einem hochgradigen Sehverlust bis zur Erblindung führt. Entzündungsschübe im Rückenmark gehen nicht selten mit hochgradigen Lähmungen an allen vier Extremitäten und einem akuten Verlust der Gehfähigkeit einher. Passend zu diesen schweren klinischen Symptomen findet man im MRT des Rückenmarks auch langstreckige Entmarkungsherde, die sich meist über mehr als 2 – 3 Rückenmarkssegmente erstrecken und im medizinischen Sprachgebrauch auch als longitudinale extensive transverse Myelitis (Abkürzung LETM) bezeichnet werden. Solche ausgedehnten Rückenmarksläsionen kommen bei MS in der Regel nicht vor. Die Herde sind hier eher lokal auf ein Rückenmarkssegment begrenzt. Auch der Nervenwasserbefund von Patienten mit NMOSD unterscheidet sich von dem der MS. Häufig ist die Zellzahl höher als im Nervenwasser von MS Patienten und die für MS typischen oligoklonalen Banden werden seltener gefunden.

Wichtige Diffentialdiagnose

Trotz dieser Unterschiede ist es in der klinischen Realität aber manchmal gar nicht so einfach, beide Erkrankungen voneinander zu unterscheiden. Zumal auch mittlerweile bekannt ist, dass sich eine NMOSD nicht immer so typisch manifestiert wie oben beschrieben. Das ist auch der Grund, warum in vielen Kliniken die Bestimmung des Anti-AQP4 Antikörpers, der für die Diagnose einer NMOSD spricht, zum Routineprogramm bei der Diagnosestellung einer MS gehört. Insbesondere wenn Patienten bei der Erstmanifestation eine starke Betroffenheit des optischen Systems oder des Rückenmarks zeigen, frage ich eigentlich immer nach den Ergebnissen der Autoantikörperbestimmung.

Sie merken jetzt wahrscheinlich, warum das Wissen zur NMOSD nicht nur von Interesse für NMOSD Patienten ist, sondern generell für MS Betroffene, insbesondere für Neuerkrankte, eine hohe Bedeutung hat. Die NMOSD stellt eine der wichtigsten Differentialdiagnosen bei der Diagnosestellung einer MS dar. Und die Unterscheidung der beiden Erkrankungen ist vor allem deswegen so wichtig, weil eine NMOSD heutzutage ganz anders therapiert wird als eine MS. Dazu komme ich dann in der Fortsetzung dieses Beitrages.

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