Eigentlich wollte ich im MS-DocBlog nicht ausführlich zu allgemeinen Themen rund um COVID 19 oder die Impfung Stellung nehmen. Allerdings macht sich auch bei mir in der Sprechstunde immer wieder Verunsicherung bemerkbar bezüglich der COVID 19 Impfung und den Auswirkungen auf die Fertilität. Die Behauptung von Impfgegnern steht zwar schon länger im Raum, sie ist auch bereits erschöpfend widerlegt, hält sich aber dennoch in der öffentlichen Wahrnehmung. Da MS häufig Frauen im gebärfähigen Alter und mit Kinderwunsch betrifft, ist die Frage durchaus relevant. Daher möchte ich dieses Forum auch nutzen, um ein klares Statement abzugeben und zu erklären, warum die Behauptung „Die COVID19 Impfung mache unfruchtbar“ falsch ist.
Die Argumentation der Impfgegner beginnt häufig damit, dass sie bemängeln, dass die Fachinformation des Impfstoffes unter der Rubrik 4.6 Fertilität, Schwangerschaft und Stillzeit die Angabe enthält, dass es nur begrenzte Daten zur Auswirkung einer Impfung während der Schwangerschaft gibt. Daher – so die Verschwörungserzähler – gäbe es wahrscheinlich ein Problem. Ansonsten würde man ja hier eindeutige Informationen finden.
Impfstoffe werden standardmäßig zunächst an gesunden Probanden getestet
Nun ist es aber durchaus nachvollziehbar, dass man die Wirkung der Impfstoffe – vor allem, weil es ja mit der Impfstoffentwicklung sehr schnell gehen musste – erst einmal bei gesunden Probanden testet und sich nicht primär vulnerablen Gruppen wie z.B. schwangeren Frauen oder Kindern zuwendet. Man wird diese Gruppen sicherlich im Verlauf genau untersuchen (bei den Kindern ist das ja auch schon der Fall). Es ist aber ansonsten ein Standardvorgehen bei klinischen Studien, dass man sensible Gruppen in der Anfangsphase (und in dieser befinden wir uns noch) erst einmal nicht miteinschließt. Das hat absolut nichts damit zu tun, dass die Impfstoffhersteller irgendetwas verheimlichen wollen oder eine unerkannte Gefahr besteht. Solche Fehlinformationskampagnen von Impfstoffskeptikern sind perfide und untergraben das Vertrauen in die COVID19 Impfung.
Keine immunologische Kreuzreaktion
Die zweite Argumentationslinie der Impfskeptiker ist für den medizinischen Laien ungleich schwerer zu bewerten. Hier wird behauptet, der COVID 19 Impfstoff würde zu einer immunologischen Kreuzreaktion (sog. „molecular mimicry“) mit Bestandteilen der menschlichen Placenta führen – konkret mit dem Molekül Syncitin-1 – und dadurch Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten bedingen. Syncitin-1 ist ein Fusionsprotein (Entwicklungsgeschichtlich mit viralem Ursprung), das benötigt wird, damit sich die Placenta in die mütterliche Gebärmutter einnisten kann. Auch das Spike-Protein von SARS-CoV2, gegen das die COVID 19 Impfstoffe eine Immunantwort aufbauen, ist ein Fusionsprotein. Es wird benötigt, damit SARS-CoV2 in menschliche Zellen eindringen kann. Damit enden dann aber auch die Gemeinsamkeiten
Trotzdem behaupten Impfskeptiker, dass die durch die neuen Impfstoffe gebildeten Antikörper zu Kreuzreaktionen mit der Placenta führen, obwohl es hierfür keine Evidenz gibt. Um es klar zu sagen, die Antikörper, die nach der Impfung gegen das Spike-Protein von SARS-CoV gebildet werden, führen nicht zu einer Blockade von Syncitin-1.
Als wichtiger Beleg für diese Aussage kann gelten, dass während der Pandemie keine erhöhten Abortraten festgestellt wurden. Was für die Impfung gilt, müsste ja für die echte Infektion erst recht gelten. Außerdem gibt es mittlerweile auch Kohortenstudien, die zeigen, dass Infektion mit dem SARS-Coronavirus 2 bei Schwangeren nicht zu einem veränderten Verlauf einer Schwangerschaft führen und auch keine Abnormalitäten an der Placenta beobachtet wurden. Wer das genauer nachlesen möchte, sei z.B. auf folgende Publikation verwiesen: Adhikari et al. (2020). Pregnancy outcomes among women with and without severe acute respiratory syndrome Coronavirus 2 infection. JAMA Network Open, 3(11), e2029256.
Darüber hinaus kann man auch eine Sequenzanalyse durchführen, um Homologien zwischen dem Spike Protein von SARS-CoV2 und menschlichen Proteinen zu identifizieren. Man benutzt dafür das sog. Basic Local Alignment Search Tool (BLAST). Wendet man eine solche BLAST-Analyse auf die Sequenz des Spike-Proteins von SARS-CoV-2 an, wird man keine damit übereinstimmende menschliche Referenzsequenz finden. Schlaumeier könnten jetzt behaupten, dass der B-Zell Rezeptor quartäre (räumliche) Strukturen erkennt, die man durch die Analyse einer linearen Proteinsequenz nicht detektiert. Das ist zwar nicht falsch, aber zum einen erkennen T-Zellen lineare Epitope und T-Zellen sind essentiell für eine suffiziente B-Zell Antwort. Man kann von einer sog. „linked recognition“ ausgehen. Außerdem gibt es die Daumenregel, dass man schon eine ausgeprägte Sequenzhomologie nachweisen muss, um ein „molecular mimicry“ zu postulieren. Das ist bei dem Spike-Protein von SARS-CoV2 und Syncitin-1 einfach nicht der Fall.
Ganz schön kompliziert – aber es zeigt, wie destruktiv bestimmte Impfskeptiker vorgehen, um das öffentliche Vertrauen zu unterwandern und mit Fehlinformationen gesellschaftlich zersetzend zu wirken. Das ist sehr bedrückend.