Aktuell erregt ein Bericht über einen Todesfall aufgrund einer Kleinhirnblutung nach Gabe des MS Medikamentes Alemtuzumab Aufmerksamkeit. Der Fall ereignete sich zwar schon im Dezember 2016 und war in Fachkreisen auch länger bekannt, angesichts der aktuellen Berichte halte ich es aber für sinnvoll, den Fall noch einmal im Kontext der Behandlung mit Alemtuzumab anzusprechen.Alemtuzumab ist ein Antikörper, der gegen das Molekül CD52 auf der Oberfläche von T- und B-Zellen gerichtet ist und für die Therapie der hochaktiven Multiplen Sklerose eine wichtige Rolle spielt. Der Antikörper ist auch deswegen eine interessante Option, da bei vielen Patienten bereits nach zwei Infusionszyklen eine längere Zeit der therapiefreien Remission erzielt werden kann. Somit ist der Antikörper sowohl im Hinblick auf seine Wirksamkeit als auch im Hinblick auf seine Anwendungsfreundlichkeit von Interesse. Die problematische Seite: Alemtuzumab hat ein Nebenwirkungsprofil, das eine spezielle Aufmerksamkeit erfordert. Aus den klinischen Studien wissen wir, dass die intravenöse Gabe von Alemtuzumab zu Infusionsbedingten Nebenwirkungen führen kann. In den Wochen nach der Gabe sind Patienten anfälliger für Infektionserkrankungen und im Verlauf können Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse und des blutbildenden Systems auftreten.
Das Medikament wird seit 2013 in Deutschland angewendet – daher haben wir mittlerweile schon sehr umfangreiche praktische Erfahrungen und recht zuverlässige Angaben über das Nebenwirkungsprofil in der Alltagsanwendung. Diesbezüglich hat auch das Paul-Ehrlich-Institut im letzten Sommer ein Bulletin veröffentlicht, das das Nebenwirkungsprofil von Alemtuzumab in der bisherigen praktischen Anwendung bei der MS zusammengefasst hat. Erwartungsgemäß wurden vergleichsweise häufig Schilddrüsenerkrankungen (in 46 Fällen) gesehen, die aber in der Regel gut behandelbar sind. Bei insgesamt 38 Patienten konnte ein Thrombozytenabfall (Thrombozyt = Blutplättchen, sind für die Gerinnung zuständig) verzeichnet werden. Interessanterweise zeigte sich, dass die Verminderung der Blutplättchen auch schon relativ zeitnah nach der Infusion auftreten kann und nicht nur wie ursprünglich gedacht im Abstand von 1 – 2 Jahren nach der Erstinfusion. Der Abfall der Thrombozyten war auch der Grund für den o.g. Todesfall – ein 34 jähriger MS-Erkrankter verstarb aufgrund dieser Störung der Blutgerinnung an einer Kleinhirnblutung. Dieser Fall ereignete sich im Dezember 2016, wurde aber jetzt noch einmal im Deutschen Ärztblatt berichtet und hat das Interesse auf das Nebenwirkungsprofil von Lemtrada® gerichtet.
Als Lehre aus den in der Realität beobachteten Nebenwirkungen kann man ziehen, dass das rigide Monitoring, das nach den Infusionen mit Alemtuzumab verlangt wird, absolut sinnvoll und wichtig ist. Es wird empfohlen, mindestens 48 Monate nach der letzten Infusion Blutbild und Nierenwert sowie den Urinstatus zu kontrollieren. Auch wenn das lästig erscheint und man sich als Patient gut fühlt, ist diese Empfehlung von großer Wichtigkeit. Dann nur so ist gesichert, dass die potentiellen autoimmunen Nebenwirkungen, auch wenn sie nur selten auftreten, rechtzeitig erkannt werden und einer effektiven Behandlung zugeführt werden können.
Eine weitere interessante Erkenntnis, die man aus der klinischen Alltagsbeobachtung von Alemtuzumab ziehen konnte, war, dass mehrere Fälle von Listerien-Infektionen in den ersten Monaten nach der Lemtrada-Gabe aufgetreten sind. Hieraus wurde die Empfehlung abgeleitet, dass Patienten, die mit dem Medikament behandelt werden, bis einen Monat nach der Behandlung auf rohes oder nicht genügend durchgegartes Fleisch, Weichkäse oder nicht pasteurisierte Milchprodukte verzichten sollten.
Was die Infusionsnebenwirkungen angeht, so machen diese zwar die größte Anzahl unerwünschter Ereignisse aus, sind aber grundsätzlich gut beherrschbar. Wir selbst beobachten in der praktischen Anwendung bei entsprechender Vormedikation kaum Probleme mit der Infusion.
Sehr geehrter Herr Mäurer,
die Lehre daraus kann doch nur sein, das rigide Monitoring kann einem nicht vor tödlichen Nebenwirkungen bewahren. Ein derartiges Medikament sollte äußerst zurückhaltend eingesetzt werden und auf gar keinen Fall bei frisch diagnostizierten MSlern.
Ich distanziere mich von allen Kommentaren, die Herrn Prof. Mäurer persönlich angreifen oder anderweitig persönlich zu diskreditieren suchen, z.B. indem sie im Schutz der Anonymität unter seinem Namen Posten.
Prof. Mäurer bietet mit dem Docblog die einzigartige Möglichkeit, die Position der zur Zeit führenden MS-Spezialisten erläutert zu bekommen. Gleichzeitig erhalten wir als Betroffene damit die Chance, eine Gegenposition aus Betroffenensicht erläutern zu können. Herr Prof. Mäurer steht zu seiner Haltung. Dafür gebührt ihm selbstverständlich Respekt.
Ja, das war Unfug.
Finde. Dr. Scheiderbauer hat Recht
Ich glaube ich hab mich mit „interessant“ missverständlich ausgedrückt.
Das war wirklich nicht geistreich
Sie sehen Lemtrada also als eine „interessante Option“ hinsichtlich der Wirksamkeit.
Komisch, dass sie bei ihrer Betrachtung vergessen haben zu erwähnen, dass nunmehr nachgewiesen ist, dass bei fast 50% der Patienten bereits nach dem ersten Zyklus neutralisierende Antikörper nachgewiesen wurden. Nach dem zweiten Zyklus soll der Prozentsatz bei über 70% liegen. Sind die zu erwartenden Nebenwirkungen wirklich das wert? Und wieso erhalten die meisten Patienten trotz festgestellter neutralisierender Antikörper noch den 2ten Zyklus?
Das sind doch die wirklichen Fragen zu Lemtrada auf die es Antworten geben sollte…
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gibt es ein gesundheitliches profil, welches tödliche nebenwirkungen minimieren kann?
(in bezug auf edss, blutbild oder alter…)
Sehr geehrter Herr Prof. Mäurer,
es ist gut, dass Sie diesen Todesfall angesprochen haben, aber es fehlen mir ein paar wichtige Details, die im Ärzteblatt ausführlich geschildert wurden (https://www.aerzteblatt.de/archiv/194642/Arznei%C2%ADmittel%C2%ADkommission-der-Deutschen-Aerzteschaft-Aus-der-UAW-Datenbank) und auch die wesentliche Konsequenz daraus.
Der junge Mann, zum Zeitpunkt seines Todes 34 Jahre alt, war im Alter von 17 oder 18 Jahren an MS erkrankt und hatte seitdem praktisch alle bis dato zugelassenen Immuntherapien hintereinander bekommen, mit wenigen Pausen, bis schließlich Alemtuzumab dran war. 5 Monate nach der zweiten Infusion entwickelte er einen Thrombozytenmangel, der frühzeitig diagnostiziert wurde, d.h. die regelmäßigen Kontrollen wurden eingehalten, aber auch die sofortige und intensive Therapie bewirkte keine Besserung, bis schließlich aufgrund eines völligen Fehlens von Thrombozyten er an einer Hirnblutung verstarb. D.h. die Therapieüberwachung hat nicht versagt, sondern sie hat in diesem Fall nichts gebracht. Ähnlich ging es der Patientin, die im Sommer unter Daclizumab an einem fulminanten Leberversagen verstorben war. Auch sie hielt die vorgeschriebenen Kontrollen ein, aber entwickelte das Leberversagen bis hin zum Tod im Intervall zwischen zwei Kontrollterminen.
Das heißt, die wesentliche Schlussfolgerung muss sein, dass auch bei aufmerksamer Therapieüberwachung Therapiefolgen dieser eingreifenden Immuntherapien (also der Medikamenten, die die Lymphozyten so stark beeinflussen wie z.B. Alemtuzumab und Daclizumab) so stark sein können, dass sie therapeutisch nicht beherrscht werden und zum Tode führen.
Sprich, an diesen Therapien kann man sterben. Und deshalb ist die wesentliche Konsequenz, dass man die Therapieindikation außerordentlich zurückhaltend stellt, ausschliesslich bei MS-Verläufen, die schnell eine schwere klinische Symptomatik entwickeln, aber nicht bei Betroffenen, die nur viel MS-Aktivität haben. Schon gar nicht aus Gründen der Bequemlichkeit bei Neuerkrankten, die gerne auf ständige Medikation verzichten wollen. Zudem muss die Aufklärung von Betroffenen entsprechend gestaltet werden.
Wissenschaftlich sollte man zudem der Frage nachgehen, ob die Gabe vieler verschiedener Immuntherapien hintereinander über viele Jahre das Risiko für schwere Therapiefolgen erhöht. NEDA als Therapieziel führt zu einer solchen Häufung von verschiedenen MS-Medikamenten als Dauertherapie, ohne den Beweis für einen langfristigen Nutzen erbracht zu haben.