Animation der Blutbahn und Immunzellen mit Wirkstoff

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) – Fakten und Überlegungen zur Infektion (2)

Das Epstein-Barr-Virus (EBV) gehört zur Familie der Herpesviren. EBV wurde als erstes humanes Tumorvirus beim Burkitt-Lymphom (ein aggressiver Blutkrebs der B-Zell-Reihe) identifiziert und konnte im weiteren Verlauf auch mit anderen Lymphomen, Epithelkarzinomen und einer Untergruppe von Magenkrebs in Verbindung gebracht werden. Zusätzlich zur Assoziation mit verschiedenen Krebsarten beim Menschen besteht auch eine Assoziation zu Autoimmunerkrankungen wie dem systemischem Lupus erythematodes und der Multiplen Sklerose.

Gut angepasster Erreger

Mehr als 95 % der Weltbevölkerung sind mit EBV infiziert – das Virus ist damit ein überaus erfolgreicher und gut angepasster Erreger. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich über den Speichel, eine Übertragung über andere Körperflüssigkeiten ist ebenfalls möglich. In Industrieländern sind ca. 50 % der Kinder infiziert, bis zum Teenageralter beträgt die Seroprävalenz (= Laborwerte, die einen Kontakt mit dem Virus belegen) bereits 90 %. Die Primärinfektion bei Kindern verläuft meist symptomlos. Wenn die Primärinfektion im Teenager-Alter auftritt, kann sie zu infektiöser Mononukleose führen – einer schweren Erkrankung, die auch unter dem Namen „Pfeiffersches Drüsenfieber“ bekannt ist.

Nach der Primärinfektion etabliert EBV eine lebenslange Persistenz im menschlichen Körper, wobei sich das Virus bei gesunden Menschen in Gedächtnis-B-Zellen aufhält. Dort ist es asymptomatisch und verursacht keine Krankheitssymptome. Aufgrund der hohen Durchseuchung der Weltbevölkerung müssen daher sowohl intrinsische Faktoren (Genetik) als auch externe (Umwelt) Faktoren hinzukommen, damit EBV-assoziierte Erkrankungen (wie z.B. die MS) zum Ausbruch kommen.

Zwei Phasen möglich

EBV kann in zwei unterschiedliche Phasen im Körper vorliegen – in der latenten und der lytischen Phase. In der Regel liegt EBV latent vor, die lytischen Phasen, in denen es zur Reaktivierung und Replikation (Vermehrung) des Virus kommt, kommen nur sporadisch vor. Während der latenten Phase befindet sich das Erbgut des Virus im Zellkern und ist unter Verwendung eines viralen Proteins namens EBNA-1 an das menschliche Erbgut gebunden. Es exprimiert in dieser Phase nur einen kleinen Teil seiner Gene. Dazu gehört die Expression sog. EBV-nukleärer Antigene (EBNAs) und bestimmter latenter Membranproteine (LMP). Für die EBNAs sind vielfältige Interaktionen mit Proteinen des menschlichen Zellkerns belegt, die für die Transkription (Auslesung) von Genen von Bedeutung sind. Die LMPs hingegen interagieren mit verschiedenen Signaltransduktionskaskaden, die für immunologischen Vorgänge von Bedeutung sind. Die Vermehrung des Virus in der latenten Phase ist allein von der normalen Zellteilung der infizierten Zellen abhängig.

Unter bestimmten Bedingungen ist das Virus in der Lage, sich zu reaktivieren und in den lytischen Zyklus einzutreten. Ein biologisch wichtiger Auslöser einer lytischen EBV-Phase ist u.a. die Aktivierung des B-Zell Rezeptors und die Ausdifferenzierung von B-Zellen zu Plasmazellen. Das Virus repliziert dann sein gesamtes virales Genom und produziert infektiöse Nachkommen. Die lytische Replikation führt in der Regel zum Zelltod der infizierten Zelle und zur Freisetzung infektiöser Viren, die wiederum naive Zellen im selben Wirt oder andere Personen infizieren können. Eine lytische Replikation von EBV kann tatsächlich durch zugelassene antivirale Therapien wie Ganciclovir oder Aciclovir unterbunden werden. Man weiß auch aus Studien an gesunden Probanden, dass eine dauerhafte Aciclovir Therapie die Anzahl EBV-infizierter B-Zellen reduzieren kann – was darauf hindeuten könnte, dass durch die lytischen Phasen das Reservoir infizierter Zellen in einem Wirt wieder aufgefüllt wird. Da aber z.B. bei EBV-positiven Tumorerkrankungen vorwiegend latent infizierte Zellen nachgewiesen werden, ist die klinische Bedeutung einer Unterbindung lytischer Phasen unklar.

Die EBV-Infektion wurde – wie schon erwähnt – mit mehreren autoimmunbedingten Erkrankungen in Verbindung gebracht, darunter der systemische Lupus erythematodes, das Sjögren-Syndrom, die rheumatoide Arthritis und eben die Multiple Sklerose. Zuletzt wurde eine bereits mehrfach erwähnte Studie an über 10 Millionen Militärangehörigen in den USA durchgeführt, die eine erhöhte Rate an EBV-Infektionen bei MS-Patienten im Vergleich zu Kontrollen ergab und zeigen konnte, das EBV-infizierte Personen eine 32-mal höhere Wahrscheinlichkeit hatten, an MS zu erkranken (Bjornevik et al., 2022). Darüber hinaus fanden Studien bei MS-Patienten kreuzreaktive Antikörper gegen EBV EBNA1 und humane Gliazell-Adhäsionsmoleküle (GlialCAM). Auch mit Myelinantigenen kreuzreagierende EBNA1-spezifische T-Zellen konnten bei MS Patienten nachgewiesen werden. Es wurde auch gefunden, dass eine signifikante Anzahl von hirninfiltrierenden B-Zellen und Plasmazellen in postmortalen MS-Gehirnproben eine EBV-Infektion aufwies. Postmortale Gehirne von MS-Patienten wiesen auch CD8-zytotoxische T-Lymphozyten auf, die latente und lytische EBV-Proteine erkennen und mit EBV-infizierten B-Zellen interagieren.

Das war eine (soweit möglich) kurze Zusammenfassung der komplexen Interaktion zwischen EBV-Virus und menschlichem Wirt und einiger wichtiger Zusammenhänge zwischen latenter EBV-Infektion und Autoimmunität bei MS. Wen das genauer interessiert, dem sei eine Übersichtsarbeit empfohlen, die 2022 in CELL erschienen ist (Damania et al. et al. Epstein-Barr Virus (EBV): Biology and Clinical Disease. Cell 2022; 185: 3652 – 3670). Ich denke, schon beim Lesen meiner kurzen Zusammenfassung wird klar, dass – trotz unbestrittener Bedeutung der EBV-Infektion – eine alleinige antivirale Therapie sicher nicht geeignet ist, um eine MS erfolgreich zu behandeln. Zudem ist davon auszugehen, dass durch die (meist unbemerkt verlaufende) Primärinfektion bereits Vorgänge im Köper von MS-Betroffenen etabliert sind, die über das reine Infektionsgeschehen hinausgehen. Welche Vorgänge in der latenten Virus-Phase für die Entstehung von Autoimmunität von Bedeutung sind und ggf. medikamentös unterbunden werden müssten, ist noch nicht geklärt. Dementsprechend wird man diesbezüglich abwarten müssen – und daher ist eine Selbstmedikation (mit potentiell sehr nebenwirkungsreichen Medikamenten) Unsinn.

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