Das Epstein-Barr-Virus (EBV) persistiert nach einer Primärinfektion lebenslang im menschlichen Körper. Meist bleibt die Infektion ohne Folgen, doch das Virus kann auch schwer krank machen und wird mit der Entstehung bestimmter Tumorerkrankungen und mit Autoimmunerkrankungen in Verbindung gebracht. Aus diesem Grund ist es naheliegend, auch wenn die Infektion in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle folgenlos ist, über eine Impfung gegen EBV nachzudenken. Dies scheint mir zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, wo die genauen individuellen Zusammenhänge zwischen EBV Infektion und Krankheitsentstehung noch unklar sind, ein sinnvoller Ansatz zu sein, um EBV-assoziierte Erkrankungen ggf. zu verhindern.
Dafür müsste zunächst ein Impfstoff entwickelt werden – und dann braucht man einen sehr langen Atem, um zu beobachten, ob die Inzidenz der EBV-assoziierten Erkrankungen sinkt. Aus meiner Sicht wäre es auch sinnvoll, sehr früh im Leben zu impfen, denn die überwiegende Mehrzahl der Individuen infiziert sich ja bereits in der Kindheit und Jugend, was besondere Sicherheitsanforderungen an einen Impfstoff stellt.
Impfstoff gegen unterschiedliche Antigene benötigt
Nun ist die Impfstoffentwicklung gegen EBV sowieso schon alles andere als trivial. Das zentrale Problem bei der Entwicklung einer Schutzimpfung gegen EBV liegt darin, dass das Virus verschiedene Phasen durchläuft (s. Das Epstein-Barr-Virus (EBV) – Fakten und Überlegungen zur Impfung (2)). Nach der Infektion befindet es sich in einer latenten Phase in infizierten B-Zellen und vermehrt sich gemeinsam mit diesen infizierten B-Zellen bei deren Zellteilung. Es ist aber davon auszugehen, dass gerade die Virusproteine, die in der latenten Phase exprimiert werden, für die Entstehung diverser Erkrankungen von Bedeutung sind – insbesondere für die Tumorentstehung. Aus der latenten Phase kann das Virus reaktiviert werden und in die so genannte lytische Phase übergehen, in der neue Viruspartikel entstehen und freigesetzt werden. In beiden Phasen stellt EBV ein sehr unterschiedliches Repertoire an Virusproteinen her. Nachdem sich die Immunantwort bei gesunden EBV-infizierten Menschen auch gegen Proteine beider Phasen richtet, müssten bei der Impfstoffentwicklung ebenfalls Antigene aus beiden Phasen verwendet werden.
Auf der Suche nach dem passenden Impfstoff
Bis zum heutigen Tag gibt es noch keinen zugelassenen Impfstoff gegen das Epstein-Barr-Virus. Zunächst wurde in der Vergangenheit Impfstudien mit dem EBV-Oberflächenprotein gp350 als Ziel durchgeführt, die jedoch nur die Infektion von B-Zellen, nicht aber die von Epithelzellen mit EBV verhindert haben. Daher konzentrierte man sich in der Folgezeit auf eine Impfantwort gegen die viralen Glykoproteine gH und gL, wodurch auch Endothelzellen vor einer Infektion geschützt werden können. Neue Ansätze der Impfstoffentwicklung umfassen VLP-basierte (virusähnliche Partikel) EBV-Impfstoffe und die Anwendung der mRNA-Technologie. Neueren Ansätzen ist gemeinsam, dass eine Vielzahl von Epitopen (kleine Aminosäuresequenzen, die eine Immunreaktion auslösen) in die Impfstoffformel aufgenommen wurde. Jedes Epitop zielt dabei auf Proteine ab, die von EBV in den verschiedenen Stadien seines Lebenszyklus exprimiert wird. Außerdem wird auch mit Hochdruck an neuen Adjuvantien gearbeitet, die die Wirksamkeit der Impfstoffe erhöhen. Mit dieser neuen Impfstoffstrategie wurden erfolgreiche Versuche an Mäusen durchgeführt, die gezeigt haben, dass der Impfstoff Antikörper induzierte, die das Eindringen des Virus in B-Zellen verhindern können und eine Killer-T-Zell-Immunreaktion auslöste, die infizierte B-Zellen zerstört (Dasari V et al. Lymph node targeted multi-epitope subunit vaccine promotes effective immunity to EBV in HLA-expressing mice. Nat Commun. 2023;14(1):4371). Unbekannt ist, wie es mit der langfristigen Wirksamkeit des Impfstoffs zum Schutz vor EBV-assoziierten Erkrankungen aussieht. Daher wird man letztlich Studien am Menschen benötigen, um die langfristige Wirksamkeit besser zu verstehen.
Auch wenn es somit noch ein langer Weg ist, bleibt festzuhalten, dass die sich derzeit in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe das Potenzial haben, EBV-bedingte Erkrankungen zu verhindern – und das könnte langfristig einen bedeutenden Durchbruch bei MS beinhalten, da es ohne Zweifel einen starken Zusammenhang zwischen EBV und MS gibt.