Die MS-Diagnosekriterien sind in erster Linie für uns Ärzte von Bedeutung, stellen sie doch eine Art Anleitung da, wie man klinische, bildgebende und labortechnische Befunde für die Diagnose einer MS zusammensetzt. Allerdings sind Neuerungen bei den Diagnosekriterien auch für Patienten und Patientinnen von hohem Interesse. Daher möchte ich hier kurz die wichtigsten Neuerungen zusammenfassen, die zwar noch nicht publiziert sind, aber in ihren Grundzügen bereits auf dem diesjährigen ECTRIMS Kongress in Kopenhagen vorgestellt wurden.
Die neuen Diagnosekriterien – auch als McDonald Kriterien 2024 bezeichnet – betonen noch stärker als ihre Vorgängerversionen die Bedeutung der MRT-Bildgebung für die Diagnosestellung. Zwar spielt auch weiterhin die klinische Präsentation und die differentialdiagnostische Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen („no better explanation than MS“) eine grundlegende Rolle, dennoch ist eine Entwicklung hin zur biologischen Diagnose der MS zu beobachten.
Geändertes Kriterium für RIS
In diesem Zusammenhang ist eine wesentliche Änderung der Kriterien zu nennen: Das sog. radiologisch isolierte Syndrom (RIS – s. auch DocBlog vom 16. Mai 2024), also ein typischer MRT-Befund wie bei MS allerdings ohne klinische Symptome, kann unter bestimmten Voraussetzungen zur Diagnose einer MS führen und damit auch schon therapiert werden. Das wirft Fragen nach Art und Dauer einer möglichen Therapie auf und hat auch bereits zu Kritik geführt. Allerdings wissen wir, dass bei einem relevanten Anteil der RIS-Patienten im weiteren zeitlichen Verlauf die Diagnose einer MS gestellt wird. Die aktuelle Anpassung der Diagnosekriterien trägt daher dazu bei, die „Hängepartie“, die mit der Diagnose eines RIS verbunden ist, zu beseitigen.
Erweiterte Kriterien für örtliche Dissemination
Eine weitere wesentlich Änderung ist die Erweiterung der Kriterien der sog. örtlichen Dissemination um die Topografie des Sehnervs (Nervus opticus). Bisher galt, dass die örtliche Dissemination dann belegt war, wenn im MRT zwei oder mehr der vier (typischen) topographischen Regionen (periventrikulär, juxtakortikal, infratentoriell, spinal) betroffen waren. Der Sehnerv kommt nun als 5. (typische) Topografie hinzu und seine Beteiligung kann neben dem MRT auch mit Hilfe der visuell evozierten Potentiale (VEP) oder der optischen Kohärenz-Tomographie (OCT) nachgewiesen werden. Diese Anpassung wird die Diagnosestellung einer MS nach einer Optikusneuritis, die ein häufiges Erstsymptom ist, vereinfachen.
Veränderungen bei zeitlicher Dissemination
Auch hinsichtlich des Kriteriums der zeitlichen Dissemination sind Veränderungen vorgenommen worden. Schon in den Kriterien von 2017 (s. Docblog vom 18. Mai 2018) musste die zeitliche Dissemination nicht mehr durch eine neue MRT-Läsion in der Verlaufsbildgebung bzw. dem Nebeneinander von älteren und neueren (sprich KM-aufnehmenden) Läsionen gezeigt werden. Der Nachweis von positiven oligoklonalen Banden reichte aus, um die zeitliche Dissemination zu belegen. Nach den neuen Kriterien wird nun bei einem Nachweis von örtlich verteilten Läsionen in mindestens vier der fünf typischen Topographien kein weiterer Nachweis einer zeitlichen Dissemination mehr benötigt.
Aufnahme spezifischer MRT-Befunde in Diagnosekriterien
Eine weitere Neuerung ist, dass MS-spezifische MRT-Befunde wie das sog. „central vein sign“ (CSV) und die „paramagnetic rim lesion“ (PRL) in die Diagnosekriterien integriert werden. Im Falle ihres Nachweises kann dann auch ohne höhere Anforderungen an den Nachweis einer örtlichen und zeitlichen Dissemination die Diagnose einer MS gestellt werden. Auch diese Entwicklung unterstreicht die Bedeutung der MRT-Bildgebung bei der Diagnosestellung der MS.
Es ist allerdings noch nicht klar, inwieweit es gelingen wird, die neuen MRT-Parameter in die flächendeckende Routinebildgebung der MS zu integrieren. Daher wird die MS wahrscheinlich auch zukünftig v.a. auf der Grundlage der 2017er Revision der McDonald Kriterien diagnostiziert werden.
Neben den o.g. Veränderungen gibt es noch kleinere Anpassungen wie z.B. die Gleichsetzung von oligoklonalen Banden und freien kappa-Leichtketten zum Nachweis einer chronischen Immunaktivierung im ZNS oder die Zusammenführung der Diagnosealgorithmen für schubförmige und primär progrediente MS.
Dies soll als kurze Übersicht über die neuen Kriterien erst einmal genügen, um einen Ausblick auf das zu geben, was kommt – genauer wird man sicher erst dann diskutieren können, wenn die neuen Diagnosekriterien publiziert sind, was im Frühjahr 2025 erwartet wird.
Es wäre wirklich sehr wichtig, dass die MS frühzeitiger diagnostiziert werden kann. Es ist wirklich zermürbend, lange Zeit im Unklaren zu leben. Viele Ärzte neigen dazu zu denken, dass die Person gar nichts richtiges hat, obwohl ständig Beschwerden und Missempfindungen bestehen. Danke, dass Sie immer weiter an Verbesserungen arbeiten.