Sexuelle Probleme bei Multipler Sklerose

Sexuelle Dysfunktion (SD) ist ein häufiges Problem bei Menschen mit MS. In älteren Studien aus den 90ziger Jahren wird eine Häufigkeit (Prävalenz) zwischen 40 und 90% angegeben, wobei die Studien aufgrund unterschiedlicher Definitionen der SD schwierig zu vergleichen sind. Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist SD ein Syndrom, das Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen, Erektions-/Lubrifikationsstörungen, Orgasmus-Schwierigkeiten, vorzeitige Ejakulation und Schmerzen bei Geschlechtsverkehr umfasst.Bei der MS können die Ursachen für eine SD vielfältig sein. Eine primäre SD kann direkt durch entzündliche Läsionen bedingt sein, die zu Symptomen wie erektiler Dysfunktion, Anorgasmie und verminderter Empfindung im Genitalbereich führen. Von sekundärer SD kann man sprechen, wenn die MS zu Veränderungen von Körperfunktion geführt hat, die indirekt die Sexualität beeinflussen, z.B. Fatigue, Spastik oder Störungen der Funktion von Blase- und Darm. Schließlich können tertiäre sexuelle Funktionstörungen durch psychosoziale Faktoren, die Körperbild, emotionalen Herausforderungen und kulturelle Einflüssen umfassen, hervorgerufen werden. Nicht zu vergessen ist auch die Auswirkung einer Depression incl. der Nebenwirkungen antidepressiver Medikamente auf die sexuelle Funktion – eine Konstellation, die bei MS häufig angetroffen wird.

Dementsprechend sind sexuelle Funktionsstörungen nicht nur für junge Erwachsene mit MS angesichts der Vielfalt der Störungen und der damit verbundenen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit, die Lebensqualität und die zwischenmenschlichen Beziehungen von sehr großer Wichtigkeit. Allerdings ist – trotz der bekanntermaßen hohen Bedeutung – die Besprechung von sexuellen Funktionsstörungen kein Standard bei der Konsultation von Neurologen oder anderen medizinischen Fachkräften, was nicht selten dazu führt, dass sich die Patienten mit ihren Problemen alleine gelassen fühlen.

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse eine kürzlich veröffentlichen Studie (Marck et al. BMC Neurol 2016;16(1):210) von Interesse. Insgesamt wurden 2062 MS-Patienten via Internet zu spezifischen sexuellen Funktionen befragt. Hierfür wurde die sexuellen Funktionsskala des Lebensqualitätsfragebogens MSQOL-54 benutzt, sowie eine Frage zur sexuellen Zufriedenheit innerhalb der letzten 4 Wochen. Die befragten Patienten waren zu 81% weiblich und im Mittel 45 Jahre alt. Mehr als die Hälfte der befragten Patienten (54,5%) berichtete mindestens ein Merkmal einer sexuellen Funktionsstörungen (49%,7% der Männer und 55,6% der Frauen). Genannt wurden sexuelles Desinteresse in 39,6%, Erektions-/Lubrifikationsstörungen in 32,8%, Orgasmusschwierigkeiten in 34,9% und mehr als jeder fünfte (21,5% ) gab an Probleme damit zu haben, den Partner sexuell zu befriedigen.

Sexuelle Zufriedenheit in den letzten 4 Wochen wurde nur von 43,7% der Befragten berichtet. Eine statistische Analyse zeigte dabei eine unabhängige Assoziation zwischen sexueller Funktion/Zufriedenheit und einer Reihe von demografischen Faktoren wie Alter, Depressionsrisiko, Einnahme von  Antidepressiva und Fatigue. Interessanterweise konnten die Autoren aber auch zeigen, dass eine gesündere Ernährung mit weniger sexuellen Störungen assoziiert ist und körperliche Aktivität/Sport mit einer höheren sexuellen Zufriedenheit einhergeht.

Letztlich ist diese aktuelle Studie ein Appell sowohl an uns Neurologen, aber auch an unsere Patienten, das Thema der sexuellen Dysfunktion wieder mehr in den Focus zu nehmen, denn die Studie zeigt eindrücklich, dass sexuelle Probleme bei der Mehrheit von MS Patienten vorliegen und dadurch einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität haben.

Es zeigt sich aber auch, dass angesichts der komplexen Zusammenhänge und Verkettungen von Symptomen auf ganz verschiedenen Ebenen keine Universallösung für sexuelle Dysfunktion existiert. Gerade bei der Behandlung von Sexualstörungen ist daher ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz von großer Bedeutung, der  – und das zeigt diese Studie sehr eindeutig – insbesondere die Modifikation von sog. Lifestyle-Faktoren mit einbezieht. Die Autoren sehen in gesunder Ernährung und körperlicher Aktivität ein präventives Potential und regen eine intensivere Thematisierung dieser Zusammenhänge an.

4 Kommentare

  1. […] Ich hatte über 8 Monate lang eine erektile Dysfunktion. Mit einem pflanzlichen Medikament wurde ich wieder aktiv, E-Mail Robinsonbuckler11 @ gmail. com […]

  2. Guten Tag Herr Dr. Maurer,

    ich habe das Problem dass meine SD auf Antidepressive geschoben wird, bin mir aber selber sicher dass die reduzierte Ejakulation auch schon vor der Medikation vorhanden war.

    Gibt es eine medizinische Untersuchung die klar diagnostiziert woher die reduzierte Ejakulation/DS kommt bzw. es einen neurogenen Zusammenhang gibt?

    Vielen Dank
    Lars

  3. Ja, die Zeit beim Neurologen brauche ich für andere Symptome. Und wenn die jährliche Kontrolle in der MS-Sprechstunde ist: ich möchte nicht gerne, dass so was im Arztbrief steht -das ist mir zu privat, wenn es jeder in der Abteilung liest ( lesen kann ).

  4. Sehr geehrter Herr Professor Dr. Mäurer,

    ich danke Ihnen für Ihre Beiträge.

    Ich fühle mich besser informiert, auch auf Grund dessen das Themen angesprochen werden die mir zum Teil selbst nicht bewusst sind oder waren und bei Arztbesuchen manchmal die Zeit fehlt diese so ausführlich zu besprechen oder ich vergesse was ich ansprechen wollte.

    Und das die Beiträge so formuliert sind das sie verständlich sind.

    Mit freundlichen Grüßen
    Nicole R.

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