Neues von ECTRIMS 2016 – Therapieoptionen bei progredienter MS

Es tut sich etwas. Nachdem es viele Jahre keine echten Therapieoptionen bei chronisch progredienter Multipler Sklerose gab und viele Therapiestudien negativ verlaufen sind, haben nun tatsächlich zwei Substanzen in großen Zulassungsstudien signifikante Effekte auf die Behinderungsprogression gezeigt. Zwar sind die Effekte nur moderat,  aber schon allein die Tatsache, dass eine Wirksamkeit in dieser Krankheitsphase auf die Verzögerung der Krankheitsprogression nachgewiesen werden konnte, ist eine sehr gute Nachricht.Für Ocrelizumab, einem B-Zell depletierenden Antikörper, wurde schon auf dem letztjährigen ECTRIMS in Barcelona die Wirkung bei primär chronisch progredienter MS (PPMS) berichtet. Die ORAORIO Studie zeigte, dass bei Behandlung mit Ocrelizumab das relative Risiko für eine Behinderungprogression (gemessen am EDSS) um 24% reduziert werden kann (s. auch DocBlog Neue vom ECTRIMS 2015).

Mittlerweile wurden die Daten der Studie weiter ausgewertet  – die Analyse wurde auf dem diesjährigen ECTRIMS präsentiert. Für die Auswertung der Studie wurde ein neuer „Compoundparameter“ eingeführt, also eine Messgröße, die sich aus verschiedenen Einzelmesswerten zusammensetzt. In Analogie zum NEDA-Konzept bei schubförmiger MS (no evidence of disease progression = kein Anhalt für Krankheitsaktivität) wurde der Parameter NEP (no evidence of progression = kein Anhalt für Progression) ausgewertet. Er setzt sich aus der Behinderungsprogression auf der EDSS-Skala, den Veränderungen im nine-hole-peg-Test (testet die Fingergeschicklichkeit) und den Veränderungen der 7,6 Meter Gehstrecke (Bewertung der Mobilität) zusammen. Die Parameter wurden zuerst paarweise kombiniert (EDSS und Veränderungen in der 7,6 Meter Gehstrecke, EDSS und Veränderungen im nine-hole-peg-Test und Kombination von nine-hole-peg-Test und 7,6 Meter Gehstrecke). Für jedes Pärchen konnte in Bezug auf Progression der Parameter eine signifikante Risikoreduktion in der Behandlungsgruppe festgestellt werden, wobei die Effekte insbesondere im Bereich der Mobilität ausgeprägt waren. Auch bei der Kombination aller drei ergab sich eine hochsignifikante Progressionsverhinderung bei Therapie mit Ocrelizumab – im  Vergleich zu Placebo ergab sich eine relative Risikoreduktion von 47% gegenüber der Placebogruppe. Das ist letztlich ein beeindruckendes Ergebnis – vielleicht sogar ausgeprägter und praxisrelevanter als es die Betrachtung des primären Studienendpunktes (bestätigte EDSS Progression) erwarten ließ. Angesichts dieser Ergebnisse wird die Behandlung mit Ocrelizumab sicherlich in Zukunft eine Rolle bei der Behandlung von primär chronisch progredienten Patienten einnehmen. Am meisten werden aber auch hier – dafür sprechen die neuen Auswertungen – Patienten profitieren, die noch relativ früh im Verlauf behandelt werden (also bei noch erhaltener Gehfähigkeit).

Eine weitere erfreuliche Nachricht ist das positive Ergebnis der EXPAND-Studie. In der Studie wurde die Wirkung von Siponimod auf die sekundär-chronisch progrediente MS (SPMS) untersucht. Siponimod ist eine Weiterentwicklung von Fingolimod, gilt als selektiver und hat dadurch ein anderes Nebenwirkungsprofil. Siponimod wurde bisher ausschließlich bei progredienten Patienten getestet – eine relativ mutige Entscheidung der Herstellerfirma. Doch der Mut wurde belohnt, denn die Studie hat die Behinderungsprogression in der Behandlungsgruppe signifikant um 21% gegenüber der Placebo-Gruppe  vermindert. Interessanterweise wurde der primäre Endpunkt in allen vordefinierten Subgruppen erreicht, also unabhängig vom Vorhandensein von Schüben, MRT-Aktivität, dem Alter der Patienten, dem Ausgangs-EDSS oder der Krankheitsdauer. Diese Ergebnis lässt vermuten, dass tatsächlich ein über die Entzündungshemmung hinausgehender Mechanismus eine Rolle spielt. Neue Sicherheitsaspekte haben sich nicht ergeben. Daher wird man wohl angesichts des Mangels anderer immuntherapeutischer Optionen eine Zulassung für die Behandlung der SPMS erwarten können.

4 Kommentare

  1. S.g.Dr. Mäurer
    zufällig bin ich über diesen Blog gestolpert. Mit interesse werde ich nun diesen MS Doc Blog verfolgen :-). da in Österreich (ich bin von dort) es bezüglich Ocrelizumab, Siponimod und Fingolimod es kassentechnisch keine Erstattungsfähigkeit gibt, ist natürlich diese Möglichkeit für sehr viele MS Betroffene (primprogr) undenkbar. Fampyra ist es. da ihr bericht schon länger zurückliegt und ich hierorts leider über die dt. Zulassungsmöglichkeit nicht wirklich was weiß, wäre es nett wenn sie mir info zukommen lassen können.
    Für ist der Status Quo jener, dass Fampyra dzt die einzige „Medikation“ ist einen prim.prog. MS Betroffenen (Gangunsichheit) helfen zu können. Gylenia (Fingolimod ??) ist laut Info von Probanden nicht unbedingt zu verwenden? Richtig?
    Vielleicht können sie ein paar zeilen darüber verlieren. LG aus dem Süden Österreichs Tom

  2. Sehr geehrter Herr Prof. Dr. med. Mäurer,

    Vielen Dank für diesen Blog, der immer wieder aufschlussreiche Informationen liefert.

    Man liest bezüglich der Zulassung von Ocrelizumab immer nur von der PPMS. Wieso wird hier die SPMS ausgelassen. Ist das Präparat hier nicht wirksam, bzw. worin besteht der Unterschied der beiden Varianten (mal abgesehen von der vorgeschalteten Schubphase bei der SPMS). Für die Herstellerfirma wäre der Markt der SPMS doch wesentlich größer. Kann man davon ausgehen, dass es für die SPMS auch eine Zulassung geben wird?

    Über eine Antwort Ihrerseits würde ich mich sehr freuen.
    Schöne Grüße
    M. Maier

  3. Sehr geehrter Herr Prof. Mäurer,

    habe ich richtig gelesen? Signifikanz bei der Gehstreckenmessung von 7,6 Metern???? 7,6 Meter Gehstrecke sollen eine angemessene Länge sein, um Verbesserungswerte im Gangbild zu erkennen, die man als signifikant bezeichnen darf u kann? Vllt fehlen mir da jetzt die angemessenen Worte, aber das wäre mir persönlich einfach zu wenig. Zu wenig Signifikanz für doch sicherlich, aber von Ihnen unerwähnt bleibende Nebenwirkungen. Dieses Präparat zielt wie so viele vor ihm auch wieder darauf ab, das Immunsystem zu beeinflussen. U zwar in Form der Drosselung. Das wird bei einigen Patienten perspektivisch nicht ohne Folgen bleiben.

    Aber es wird wie immer sein. Wir werden, wie seit vielen Jahren schon, beobachten, was sich am Markt etablieren wird. Eine große Beständigkeit u vor allem Therapietreue zu MS-Medikamenten blieb die letzten Jahrzehnte ja leider aus. Ursachen bekannt. Zumindest dem anwendenden Patienten.

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