Nebenwirkungen und Verträglichkeit

Bei der Besprechung einer Arzneimitteltherapie nimmt die Frage nach Risiken und Nebenwirkungen einen wichtigen Platz ein. Mir fällt dabei auf, dass hier häufig Missverständnisse wegen unterschiedlicher Begrifflichkeiten auftreten.Für einen Patienten ist die Frage, was unmittelbar passiert, wenn er ein Arzneimittel einnimmt, von sehr großer Bedeutung. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Anwendung eines Interferonpräparates zur Behandlung einer Multiplen Sklerose – ein hoher Prozentsatz der Anwender entwickelt ca. 2 Stunden nach der Injektion grippe-ähnliche Symptome, die relativ unangenehm sein können und die Notwendigkeit von vorbeugenden Maßnahmen (Einnahme von Paracetamol/Ibuprofen) nach sich ziehen.  Letztlich ist diese Reaktion auf das Arzneimittel aber völlig ungefährlich und auch die klinischen Daten, die zu den Interferonen in den letzten 20 Jahren gesammelt wurden, belegen, dass Interferone ziemlich nebenwirkungsarme Medikamente sind. Das mag jetzt für viele Betroffene seltsam klingen, denn die „Nebenwirkungen“ der Interferone sind ja oft genannt und viel diskutiert – aber diese Diskussionen beziehen sich eigentlich auf die Verträglichkeitsprobleme der Substanz.

Solche Verträglichkeitsprobleme machen uns Ärzten auch Sorgen, aber weniger im Hinblick auf die medizinischen Aspekte, sondern eher im Hinblick auf die Therapieadhärenz – denn schlecht verträgliche Substanzen werden häufig nicht so angewendet, wie es eigentlich vorgesehen ist.

Die Unterscheidung von Verträglichkeitsproblemen und Nebenwirkungen ist wichtig für das gegenseitige Verständnis bei der Diskussion um medikamentöse Therapien. Ich möchte das am Beispiel von Tysabri® erläutern. Tysabri® ist ein monoklonaler Antikörper zur Behandlung der hochaktiven schubförmigen MS. Obwohl das Medikament viel potenter als ein Interferonpräparat ist und als Infusion gegeben wird, ist die Substanz sehr gut verträglich – nur selten klagen Patienten über etwas Müdigkeit und Abgeschlagenheit nach der Gabe. Trotzdem ist Tysabri® nicht „nebenwirkungsarm“. Im Gegenteil, da das Medikament zur Entstehung einer PML (einer schwerwiegenden Virusinfektion des Gehirns) führen kann, hat es ein besonders ernstzunehmendes Nebenwirkungsprofil. Das illustriert demnach gut, was Ärzte mit dem Begriff der Nebenwirkungen verbinden – nämlich das Risiko für nachhaltige Schäden an Organen und Geweben in direktem Zusammenhang mit einem Arzneimittel.

Noch ein weiteres Beispiel zur Erläuterung der Begrifflichkeiten: Die Einnahme des MS-Medikamentes Tecfidera® verursacht „gastrointestinale Nebenwirkungen“. Letztlich ist das für Ärzte keine große Sorge, denn diese „Nebenwirkung“ ist ungefährlich, ein klassisches Verträglichkeitsproblem. Für Patienten sind diese Symptome aber hochrelevant und nicht selten führen sie zum Absetzen des Medikamentes.  Das ist letztlich der Grund, warum wir uns natürlich auch mit den „gastrointenstinalen Nebenwirkungen“ beschäftigen. Letztlich ist für Ärzte bei Tecfidera® aber von viel größerer Bedeutung, dass das Medikament in seltenen Fällen zu einer relevanten Lymphopenie führen kann – das ist aus unserer Sicht eine wichtige Nebenwirkung, deren Detektion regelmäßige Kontrollen erforderlich macht. Da eine Lymphopenie aber keine unmittelbaren Unannehmlichkeiten verursacht, ist eine solche Nebenwirkung häufig viel schwerer zu kommunizieren.

Ich ziehe es daher vor, bei Gesprächen über Arzneimittel zusammen mit meinen Patienten eine Nutzen-Risiko-Analyse durchzuführen, mit dem Ziel, den potentiellen Nutzen eines Medikamentes seinen spezifischen Verträglichkeitsproblemen und Nebenwirkungen gegenüber zu stellen. Eine solches Vorgehen hat den Vorteil, dass es den individuellen Bedürfnissen des einzelnen Patienten gerecht wird, denn in die Analyse sollen explizit persönliche Wünsche und die persönliche Risikobereitschaft mit einfließen. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Pateinten dabei in der Lage sind „Arzneimittelnebenwirkungen“ zu bewerten und Verträglichkeitsprobleme von echten Risiken abzugrenzen.

2 Kommentare

  1. Aus meiner Sicht hat das Thema bei der MS einen Aspekt, der nicht übersehen werden darf: MS Medikamente sind eine Dauermedikation.
    Die „Verträglichkeitsprobleme“ sind damit für dir Patienten keine vorübergehend Einschränkung. Sie sind ein Dauerzustand.

    Als relevant beurteilen Sie ein „Risiko für nachhaltige Schäden an Organen und Geweben“. Weil es in diesem Fall zu dauerhaften und irreversiblen Einschränkungen kommt.

    In meinem Alltag möchte ich dauerhaft Einschränkungen tatsächlich unbedingt vermeiden. Für die Funktionstüchtigkeit in meinem Leben ist es allerdings sekundär, ob die Einschränkung über Jahre hinweg wegen der bleibenden Medikation besteht oder wegen der bleibenden Schädigung. Das Ausmaß meiner „Behinderung“ ist davon unabhängig.

    Und nein, „Behinderung“ bedeutet offiziell nicht, dass der Schaden irreversibel für immer bleiben muss. Die Dauer von voraussichtlich sechs Monaten ist im Gesetz die Grenze. Und bei der Einnahme von MS Medikamenten reden wir von völlig anderen Zeiträumen als einem halben Jahr ;-).

  2. „… Notwendigkeit von vorbeugenden Maßnahmen (Einnahme von Paracetamol/Ibuprofen) nach sich ziehen. Letztlich ist diese Reaktion auf das Arzneimittel aber völlig ungefährlich …“

    Schon recht, MS gestoppt aber Leber oder Nieren getötet, damit ist der Neurologe zumindest erfolgreich.

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