Kleiner Exkurs: die weißen Blutkörperchen

Wir sprechen in der MS-Ambulanz häufig über die weißen Blutkörperchen, über Leukozyten, Lymphozyten, Granulozyten und wie sie alle heißen. Ich stelle dabei aber immer wieder fest, dass das Hintergrundwissen zu diesen wichtigen Zellen häufig lückenhaft ist, und es deswegen zu erheblicher Verwirrung kommen kann. Da die Kontrolle der weißen Blutkörperchen aber im Hinblick auf viele MS-Therapien von ganz erheblicher Bedeutung ist, ist Halbwissen und die hierauf beruhende Verwirrung häufig die Quelle von großer Verunsicherung. Man muss aber fairerweise sagen, dass diese Verunsicherung manchmal auch auf Seiten der betreuenden (Haus)Ärzte besteht, was nicht selten dazu führt, dass wirksame und sinnvolle Präparate zur Behandlung der MS ausgesetzt werden – häufig aus Angst vor unberechenbaren Nebenwirkungen.

Von daher ist an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zu den weißen Blutkörperchen vielleicht ganz nützlich. Ich selbst habe nämlich bemerkt, dass häufig viel mehr Sicherheit und Gelassenheit in die MS-Therapie einzieht, wenn ich meinen Patienten erkläre, was man aus dem Blutbild heraulesen kann und ihnen die Bedeutung Blutbildveränderungen erkläre.

In der Routinediagnostik ist das „Blutbild“ eine der am häufigsten durchgeführten Laboruntersuchungen. In der Routinediagnostik wird in der Regel ein kleines Blutbild gemacht, das heißt, man bestimmt die Anzahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten), der roten Blutkörperchen (Erythrozyten) und der Blutplättchen (Thrombozyten) aus dem venösen Blut. Darüber hinaus wird noch das Hämoglobin, also der rote Blutfarbstoff, der den Sauerstoff bindet, bestimmt. Damit hat es sich dann aber auch schon mit der Aussagekraft des kleinen Blutbildes.

Nun besteht die Gesamtheit der weißen Blutkörperchen, also die oben genannten Leukozyten, aus verschiedenen Untergruppen weißer Blutkörperchen, nämlich den sog. Granulozyten, Lymphozyten und Monozyten (die werden so nach der Form ihrer Zellkerne benannt). Diese Untergruppen kann man im Labor differenzieren und zählen – wir sprechen dann vom sog. Differentialblutbild, im Jargon auch „großes Blutbild“ genannt.

Diese Untergruppen haben bei der Immunabwehr unterschiedliche Aufgaben. Die größte Untergruppe, die Granulozyten, die etwa 70% der weißen Blutkörperchen ausmachen, sind sozusagen die erste Verteidigungslinie bei der Abwehr von Keimen und Krankheitserregern – sie bilden z.B. den Eiter in infizierten Wunden und ihre Verteidigungswirkung ist relativ unspezifisch. Granulozyten werden durch die meisten MS-Medikamente nicht beeinflusst und sind daher auch für das Monitoring während der MS-Therapie von untergeordneter Bedeutung.

Durch MS-Medikamente werden vor allem die sogenannten Lymphozyten beeinflusst, deren Anteil an der Gesamtleukozytenzahl ungefähr 25% beträgt. Lymphozyten sind Immunzellen, die im Laufe des Lebens gelernt haben, auf spezifische Erregerbestandteile (wir sprechen von Antigenen) zu reagieren. Lymphozyten sind damit wesentliche Bestandteile der erworbenen Immunität und sie sind auch verantwortlich für Autoimmunreaktionen. So gehen wir bei der MS davon aus, dass autoreaktive Lymphozyten die Erkrankung Multiple Sklerose auslösen und unterhalten. Von daher zielen MS-Therapien häufig auf die Reduktion dieser Zellen ab. Da diese Zellen aber auch für eine ganz normale Immunantwort gegen verschiedenste Krankheitserreger von Bedeutung sind, dürfen sie nicht zu heftig mit den Medikamenten attackiert werden – und daher ist die Zählung der Lymphozyten beim Therapiemonitoring von MS-Patienten wichtig. In der Regel werden im Differentialblutbild keine absoluten Zahlen, sondern nur die prozentualen Anteile an der Gesamtleukozytenzahl angegeben, aber damit kann man die absolute Zahl errechnen.

Ein kleines Beispiel: Nehmen wir an, in einem kleinen Blutbild werden insgesamt 4000 Leukozyten/µl gezählt, davon sind im großen Blutbild 23 % Lymphozyten, dann beträgt die absolute Lymphozytenzahl 4000 x 0,23 = 920 Lymphozyten/µl. Für diesen Wert, die absolute Lymphozytenzahl, existieren für viele MS-Medikamente Grenzwerte, die nicht unterschritten werden sollten (für Tecfidera z.B. 500 Lymphozyten/µl). Daher schauen wir bei den Kontrollen immer auf diesen Wert (und sind verärgert, wenn kein „großes Blutbild gemacht wurde – denn mit dem kleinen BB  – das wissen Sie ja nun – kann man für die Fragestellung nichts anfangen).

Mit Spezialtechniken kann man die Gruppe der Lympozyten noch weiter differenzieren, z.B. in T-Lymphozyten und B-Lymphozyten, und viele weitere Subgruppen, aber diese Differenzierung ist häufig besonderen Fragestellungen vorbehalten und ist bei der Routineüberwachung außen vor.

Ich werde in der nächsten Zeit – auf dieser Grundlage – in weiteren Texten detaillierter beschreiben, was bei den einzelnen Medikamenten im Hinblick auf die absoluten Lymphozytenzahlen zu erwarten und zu beachten ist. Bis dahin viel Spaß bei Ausrechnen Ihrer Lymphozyten….

 

 

 

4 Kommentare

  1. Eine wichtige Frage: …und ein Paradox, wie ich finde…
    Wenn Natalizumab während der Therapie die Lymphozyten deutlich erhöht und Cortison diese wiederum senkt, warum beendet man in diesem Fall die Behandlung nicht mit einem Cortisonstoß nach 4 Wochen, sondern läßt Patienten in den Rebound schlittern?

    1. Hm. „Am sichersten sei aber eine Hirn-Biopsie.“ (Steht da irgendwo)

      Jetzt ist das Gehirn an sich schmerzlos, aber der Weg dahin … und wenn sie ganz knapp neben der infizierten Stelle biopsieren?

      Langsam aber sicher komme ich zu dem Schluss, dass man am besten einfach gesund bleibt.

  2. Vielen Dank für diesen erhellenden Artikel. Es ist tatsächlich so, dass man als Patient viel zu wenig darüber weiß. Ich freue mich schon, mehr über die Bedeutung der erwähnten T-Lymphozyten etc. zu erfahren. Diese Werte scheinen wohl unter Natalizumab bedeutsam zu sein.

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