„Kann ich denn nicht mehr tun…“

Bei Aufklärungsgesprächen zur MS fragen mich Patienten sehr häufig, was sie außer einer prophylaktischen Medikamenten-Einnahme zusätzlich tun können. In diesem Zusammenhang werden dann sehr oft Fragen nach speziellen Diäten oder besonderen Verhaltensweisen im Alltag gestellt. Das ist verständlich, denn das Internet ist voll von vielen mehr oder weniger sinnvollen Ratschlägen zu diesem Thema. Meistens sind meine Patienten dann erstaunt, dass meine Antwort in der Regel lautet, dass man aus meiner Sicht nichts zu tun braucht, was über die normalen Grundsätze einer „gesunden“ Lebensführung hinausgeht. Was ist damit gemeint? Jeder hat ja so seine eigenen Vorstellungen über ein gesundes Leben. Man kommt selbstverständlich auch nicht um das Thema Ernährung herum, wenn man über gesunde Lebensführung spricht. Die Grundsätze sind hier aber relativ simpel und gelten für jeden – nicht nur für Patienten mit MS. Man sollte den Konsum tierischer Fette reduzieren und auf ungesättigte Fette setzen. Den Fleischkonsum auf zweimal in der Woche beschränken, Vollkornprodukte bevorzugen und eine ausreichende Zufuhr an Obst, Gemüse und Flüssigkeit sicherstellen. Die Kost sollte ausgewogen sein und dem Energiebedarf angepasst werden – sprich, wenn man mehr Kalorien zuführt als man verbraucht, nimmt eben man zu, was letztlich ungesund ist. Mehr müsste man eigentlich zu diesem Thema nicht sagen.

Vielen meiner Patienten ist das zu trivial. Ich höre dann oft als Antwort auf meine Ausführungen die Frage „Kann man wirklich nicht mehr tun?“. Im Hinterkopf ist dann meist die Idee irgendeiner Restriktionsdiät, die ja häufig mit mehr oder weniger ausgeprägten „Heilsversprechungen“ daherkommt, zu vertrauen. In diesem Zusammenhang wundert mich dann häufig eine Beobachtung: Bei nicht wenigen Patienten, die mich nach Konzepten einer gesunden Lebensführung fragen und den Sinn von bestimmten Diäten und Verhaltensvorschriften diskutieren möchten – oder sich vielleicht schon auf ein bestimmtes Konzept eingelassen haben und von mir eine Bestätigung der Sinnhaftigkeit ihres Tuns haben möchten – bekomme ich auf die Frage „Rauchen Sie?“ die Antwort „Ja“. Ich möchte jetzt nicht falsch verstanden werden, ich bin weit davon entfernt, auf Raucher einzuschlagen. Sie wissen meistens relativ genau, dass Rauchen auf verschiedenen Ebenen  gesundheitsschädlich ist. Aber es ist eben auch gar nicht so einfach, damit aufzuhören. Zum einen weil Nikotin abhängig macht, zum anderen weil die Motivation fehlt. Bei einem MS-Erkrankten, der aber quasi auf der Suchs nach dem heiligen Gral des gesunden Lebens und davon überzeugt ist, dass man doch mehr tun müsste „als nur Medikamente“ zu nehmen, würde man eine diese Motivation allerdings erwarten. Denn wäre es nicht naheliegender, erst einmal die Dinge abzustellen, die nachweislich negative Auswirkungen haben, bevor man Konzepten vertraut, die in ihrer Bedeutung völlig unklar sind.

Rauchen ist nach der derzeitigen Studienlage assoziiert mit schwereren Symptomen bei Krankheitsbeginn, einem höheren Risiko der Konversion in eine progrediente Verlaufsform, einer höheren Läsionslast im MRT und einer rascheren Hirnatrophie. Zudem haben Raucher ein höheres Risiko, an einer primär chronisch progredienten MS zu erkranken, und zeigen im Vergleich zu Nichtrauchern ein doppelt so hohes Risiko, nach dem ersten Schub der Erkrankung weitere Schübe zu entwickeln. Diese Studiendaten sind in renommierten medizinischen Fachzeitschriften publiziert worden und experimentell gut belegt. In allen Studien hat sich zudem gezeigt, dass die Effekte umso ausgeprägter sind, je früher mit dem Nikotinkonsum begonnen wurde. Es gibt also einige schlagkräftige Argumente als MS-Erkrankter mit dem Rauchen aufzuhören. Für die Gesundheit ist das definitiv sinnvoller als viele andere Maßnahmen. Deswegen antworte ich auf die Frage „kann ich denn nicht mehr tun als Medikamente einzunehmen“ in solchen Fällen „doch, sie können noch etwas tun: hören Sie auf zu rauchen und treiben Sie Sport!“

8 Kommentare

  1. Jaa, solche „Ernährungsexperten“ sitzen mir auch im Nacken…
    Sinngemäß „Würdest Du mal auf Stärke-, Fett- und Getreidehaltige Produkte verzichten, dann würde es Dir sicher besser gehen….wahrscheinlich würdest Du dann auch nicht so unter Fatigue leiden!!“
    Solche Ratschläge sind wirklich extrem hilfreich…

  2. Danke! Für diesen Beitrag. Könnten Sie das auch bitte denen sagen, die meinen, sie könnten einem MS Patienten ständig irgendwelche neuen „Ratschläge“ zu neuen Diäten und Ernährungskonzepten um die Ohren hauen ohne zu wissen, was überhaupt angesagt ist? 😉

    1. Hallo,
      na ja, geraucht habe ich, ein paar Jahre – aber auch immer fleißig Kaffe getrunken (denn Kaffee soll ja das MS-Risiko verringern…)

  3. Der Beitrag gefällt mir !
    SCHLUSS MIT DER OPFERROLLE !
    Ich allein kann, ja kann!, aktiv aus der Opferrolle austreten!
    Erster Ansatz:
    Was ist das Positive an der Situation?
    Was kann ich aus der Situation für die Zukunft lernen?
    => ICH SUCHE die positiven Seiten und mögliche Chancen der Situation.
    Dieser Schritt zur Befreiung bedeutet Mut, Verantwortung und eine Menge Willen, das Gute zu sehen.
    Jetzt ist die eigene MOTIVATION gefragt.
    ICH konzentriere mich auf diesen, nämlich Meinen, Optimismus. Sonst siegt die Negativ-Spirale
    Was bleibt einem sonst?
    (Copyright irgendwo im Internet)

  4. Ich kann Ihre Ausführung sehr gut nachvollziehen, ich begrüße sie sogar. Dass Sie am Ende auf das Rauchen überleiten, verstehe ich auch. Doch will ich aus meinem Alltag hinzufügen, mir begegnen jede Menge nichtrauchender, sendungsbewusster „Ernährungskonzepte-Vertreter“. Mittlerweile frage ich mich, ob dies ein breitflächiges gesellschaftliches Phänomen ist. Früher war der Glaube, der falsche Glaube, der Nicht-Glaube (Nein, nicht aktuell Islam sondern Christentum) für Leid und Unglück des Einzelnen verantwortlich. Heute, so denke ich manchmal, wird die Ernährungsweise sehr mit der Frage nach persönlicher Schuld in Verbindung gebracht. Das macht sicherlich auch nicht vor MS-Erkrankten halt.

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