Ein Arzt erklärt einem MS-Patienten am Bildschirm MRT-Bilder des Gehirns.

Diagnose Multiple Sklerose – der Schock zu Beginn

Der jungen Frau stehen Tränen in den Augen. Man kann förmlich sehen, wie gerade alles in sich zusammenbricht. Auch die Patienten, die schon mit einer Vorahnung in meine Ambulanz kommen, schrecken beim Aussprechen der Diagnose MS zusammen. Man kann sich vorstellen, welche Bilder vor ihrem inneren Auge vorbeiziehen und wie Zukunftsangst aufzieht.

Ich frage mich häufig, ob wir wirklich so brutal sein müssen. Vor einer Woche war die junge Patientin mit einer Sehnervenentzündung bei uns aufgenommen worden. Das Sehvermögen des rechten Auges war vermindert – wie durch Milchglas – das Auge tat bei Bewegungen weh. Sonst fehlt ihr nichts, sie war nie vorher krank gewesen, hat gesund gelebt, Sport getrieben.

Die Kernspintomographie zeigte, dass nicht nur der Sehnerv entzündet war, sondern noch weitere entzündliche Veränderungen des Gehirns festzustellen waren. Die anschließende Nervenwasserentnahme bestätigte die Vermutung einer entzündlichen Erkrankung des zentralen Nervensystems.

Heute stellt sie sich kurz nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zur Befundbesprechung vor. Ich erkläre ihr die Befunde und teile ihr mit, dass sie eine Multiple Sklerose hat. Ich spüre das Unverständnis – wie ich dazu käme, eine solche Diagnose zu stellen. Das Auge sei doch noch der Cortisongabe wieder rasch besser geworden, sie habe doch sonst überhaupt keine Probleme. Und überhaupt, ob ich mir denn sicher bin.

Meistens bin ich mir sicher – und wenn nicht, dann würde ich meine Zweifel auch mitteilen. In der Altersgruppe zwischen 20 und 40 Jahren ist die MS die häufigste Ursache für neurologische Defizite. Wenn die Kernspintomographie und der Liqour (Nervenwasser) entzündungstypische Veränderungen zeigen und mit einer ausführlichen Labordiagnostik andere Ursachen einer Entzündung ausgeschlossen werden konnten, kann die Diagnose mit sehr hoher Verlässlichkeit gestellt werden – vorausgesetzt die Abklärung erfolgte mit der gebotenen Sorgfalt.

Man muss auch anmerken, dass andere Ursachen für eine Entzündung des Gehirns wie zum Beispiel eine Gefäßentzündung (Vaskulitis) in der Regel viel schwerere Krankheitsbilder verursachen als die MS. Die häufig im Kontext der MS-Diagnose angesprochene Neuroborreliose ist ein Krankheitsbild, das meist einen ganz anderen klinischen Verlauf zeigt und eine komplett andere Signatur im Nervenwasser hinterlässt als die MS. Aus diesem Grund ist die chronische Neuroborreliose eine eher seltene Differentialdiagnose, auch wenn fast jeder meiner Patienten am Anfang meint, er hätte eine unerkannte Neuroborreliose.

Der wesentliche Grundsatz für die Diagnose einer MS ist, dass die MS eine Erkrankung ist, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Stellen des Zentralen Nervensystems (also Gehirn und Rückemark) zu neurologischen Ausfällen führt . Dies passiert in Form von Krankheitsschüben, die zu jeder Zeit auftreten können (der Fachbegriff hierfür ist die „örtliche und zeitliche Dissemination“). Früher benötigte man zur Diagnose einer MS mindestens zwei Krankheitsschübe, bevor man die Diagnose stellen konnte. Das war dann zwar für viele Patienten eindrücklicher und glaubhafter, hatte aber den Nachteil, dass mit dieser Diagnosestrategie häufig wertvolle Zeit verloren gegangen ist. Seit der regelmäßigen Anwendung der Kernspintomographie wissen wir, dass auch zwischen zwei klinischen Krankheitsschüben klinisch unbemerkte Entzündungen auftreten, die man mit der Kernspintomographie nachweisen kann. Man geht davon aus, dass auf einen klinisch bemerkten Schub mindesten 10 neue Herde im MRT kommen, die – auch wenn sie nicht bemerkt werden – trotzdem das Gehirn schädigen. Die Quittung für eine solche ungebremste Entzündung bekommt man allerdings meist erst in späteren Jahren, da das Gehirn von jungen Menschen eine erheblich Reserve hat – die ist aber irgendwann aufgebraucht!

Daher ist unsere Diagnosestrategie heutzutage darauf aufgebaut, dass wir nach dem ersten klinischen Schub Anhaltspunkte suchen, die auf eine zeitlich und örtlich disseminierte Erkrankung hinweisen. Dafür benutzen wird die Kernspintomographie. Wenn wir hier Entzündungsherde in verschiedenen Lokalisationen sehen und diese Herde ein unterschiedliches Alter besitzen, was wir mit Hilfe einer Kontrastmittelgabe herausfinden können, können wir schon nach dem ersten Schub sagen, dass es sich um eine Erkrankung handelt, die an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten zu entzündlichen Angriffen auf das Gehirn führt. Das bedeutet die Definition einer MS – die deswegen auch als Enzephalomyelitis disseminata bezeichent wird – ist erfüllt, vorausgesetzt es gibt anhand der Laboruntersuchungen keine Hinweise auf eine anders geartete Erkrankung. So funktioniert das mit der Diagnosestellung …..

Wir versuchen also zum frühestmöglichen Zeitpunkt – nämlich nach dem ersten Schub – vorherzusehen, ob ein Risiko besteht, dass noch weitere Krankheitsschübe auftreten. Und aus diesem Grund finde ich, müssen wir so brutal sein und unsere meist sehr jungen Patienten nach dem ersten Krankheitsschub mit dieser Information konfrontieren und die Arbeitsdiagnose einer MS stellen. Ich bin im Übrigen auch der festen Überzeugung, dass diese Klarheit sehr wichtig ist, denn nur wenn man „seinen Feind kennt“, kann man sinnvoll reagieren und behält das Heft des Handels selber in der Hand.

Auch aus ärztlicher Sicht ist die frühe Diagnosestellung sehr entscheidend. Alle unsere Medikamente sind Wirkstoffe, die die Entzündungsreaktion im Zentralen Nervensystem wirkungsvoll unterdrücken. Wir wissen, dass diese Entzündungsreaktion in der Frühphase der Erkrankung sehr ausgeprägt ist – dementsprechend wirken MS Medikamente hier besonders gut und können effektiv Schäden verhindern und dadurch zu guten Verläufen der MS führen.

Ich sehe daher die rasche und eindeutige Diagnosestellung zum frühestmöglichen Zeitpunkt als einen ganz wesentlichen Punkt an und denke, es ist für viele Patienten die Chance, der Krankheit wirkungsvoll entgegenzutreten. Auch wenn viele Patienten natürlich Zeit benötigen, den ersten Schock einer solchen Diagnose zu verarbeiten.

Auch die junge Frau wird diese Zeit benötigen. Ich hoffe aber, dass es ihr gelingt, die Diagnose mit Hilfe von Freunden, Familienmitgliedern und ihrem medizinischen Umfeld so zu verarbeiten, dass sie für sich den maximalen Nutzen herauszieht und durch ein konsequentes Handeln durch die Erkrankung keinen Schaden erleidet. Ein gutes Rezept ist in diesem Fall auch, nicht den Kopf in den Sand zu stecken und sich ausreichend zu informieren, so dass man selbst zum größten Experten für die Erkrankung wird.

In diesem Sinn grüßt sie herzlichst
Ihr Mathias Mäurer

37 Kommentare

  1. Ich schließe mich den Vorrednern an, was die Erfahrungen mit den Basistherapien angeht u dem allgemeinen Herunterspielen der hammerharten Nebenwirkungen. Jedem Neurologen würde ich anraten, sich selbst mal eine Avonex Spritze zu setzen um fest zu stellen, worüber wir hier eigentlich reden.

    Es ist nicht verwunderlich, dass wir MS Patienten die Heilung in Alternativen suchen. Gäbe es ein bewährtes u nachhaltig sinnvolles, helfendes oder heilendes MS Medikament aus der Schulmedizin, würden wir uns alle das mit Freude verabreichen lassen. Aber die Patienten müssen bei diesen Therapien dauernd mit hochgranzbrochierten Heftchen u Studien bei der Stange gehalten werden, weil der Therapieerfolg sich eben nicht einstellt u vor allem mit lebenseinschränkenden Nebenwirkungen einhergeht.

    Bitte machen Sie sich doch bewusst, dass es ein Medikament gegen die MS nicht gibt. Und eine Studie an einem Krankheitsbild, was bei jedem völlig unterschiedlich ist, ist meiner Ansicht nach mit einem klaren Ergebnis überhaupt nicht zu machen.

    Der Kapitalismus impliziert, dass auch der Pharmaindustrie der Sinn nach Gewinnmaximierung vordergründig ist. Das ist nun mal so. Und die neuesten Medikamente sind der Beweis dafür! Diese unendlich sinnlos hochgespielten Preise mit dem doch kaum zu erkennenden Nutzen sind skandalös u ich wundere mich, dass das nicht noch viel lauter angeprangert wird.

    Ich freue mich immer, wenn sich Fachärzte einer solchen Diskussion stellen. Ich erlebe allerdings permanent, dass sie mit dem umfassenden Wissen u dem Hinterfragen durch ihre Patienten völlig überfordert sind u sich persönlich in ihrer ärztlichen Tätigkeit beleidigt fühlen, wenn der Kranke bestimmte Therapien ablehnt. Glauben Sie mir, jeder von uns will gesund sein u von MS geheilt werden.

    Ich habe mittlerweile keinen Neurologen mehr. Nach 6wöchiger Avonex Einnahme habe ich diese Form der Therapie für mich ausgeschlossen. Bei Schüben verzichte ich aus Mangel an Sinnhaftigkeit für mich auf Cortison. Ich bin der Patient ohne compliance u werde so behandelt. Das ist geradezu frustrierend, für einen eh schon lebenslang kranken Menschen.

    Gäbe es ein gutes Mittel gegen die MS, wäre das kritiklos in aller Munde u wir alle würden es verwenden.

  2. Wir haben eigens eine Petition „Für eine humane Diagnosemitteilung bei Multipler Sklerose“ gestartet, um Neurologen die Relevanz und Methodik des sorgsamen Mitteilens schwerwiegender Diagnosen zu erklären.

    http://www.change.org/p/bundes%C3%A4rztekammer-f%C3%BCr-eine-humane-diagnosemitteilung-bei-multipler-sklerose-wider-das-damoklesschwert?recruiter=151058885&utm_campaign=mailto_link&utm_medium=email&utm_source=share_petition

    Im Petitionstext sind die schweren Folgen einer „brutalen“ Diagnosemitteilung aufgeführt. Wir weisen die Ansicht zurück, eine solche Vorgehensweise diene dem Patientenwohl.

  3. „Den maximalen Nutzen aus der Erkankung herausziehen“ – durch eine möglichst frühe Diagnosestellung und „brutaler“ Diagnosemitteilung, um dann den Patienten unverzüglich, mit möglichst geringem Aufwand und möglichst andauernd in eine der verfügbaren kostspieligen Therapien zu pressen – so übersetze ich Ihren Beitrag in meine Patientenerfahrung.

    Bei diesem Verfahren, das Sie hier anscheinend als Goldstandard empfehlen wollen, ziehen lediglich die pharmazeutische Industrie und der niedergelassene Neurologe, der mit selbiger Industrie einen Kooperationsvertrag geschlossen hat, einen maximalen Nutzen aus der Erkrankung – während der teils schwer beeinträchtigte Patient nicht selten um jede rehabilitative Maßnahme, um Heil- und Hilfsmittel kämpfen muss. Aber da helfen dann ja Freunde und Familie, nicht wahr?

    Ich empfinde Ihren Beitrag als blanken Zynismus.

  4. Diagnose MS
    „Sie haben eine Multiple Sklerose.“
    Ich klappte zusammen wie ´ne Mimose.
    Er lächelte mich an dabei, der Neurologe.
    Ich wurde erfasst von einer Woge.
    Kälteschauer und auch schwitzen,
    erwischten mich im Sitzen.
    Tränen bahnten einen Weg, ganz leise.
    Die Seele weinte auf ihre Weise.
    Da lag mein Leben nun in Trümmern.
    Wie sollte ich mich darum kümmern
    Die MS bestimmte jetzt mein Leben.
    Und würde immer an mir kleben.
    Ein Geist im Körper, winzig klein
    Und doch; sollte es ein Monster sein.
    Die MS legte meine Seele in Scherben
    Und ließ Teile meines Körpers langsam sterben.
    Langsam lichtete sich der Schleier.
    Ich sah den Arzt an und dachte „Oh Weia“.
    Er sprach leise von viel Mut,
    es würde alles wieder gut,
    wenn ich jetzt nur an mich denke
    und mein Leben anders lenke.
    Ich stand auf und wollte nur noch weg,
    das alles hatte jetzt keinen Zweck.
    Mein Kopf war schwer wie Blei,
    alles andere war jetzt einerlei.
    Ich wusste es würde mir bald besser gehen,
    aber erst mal musste ich den Schmerz verstehen,
    den diese Nachricht mit sich brachte
    und mein Leben anders machte.
    ©Manuela Liers

    Auf Facebook unter „MS ist kein Gedicht“ zu finden.

    1. Hallo Frau Liers,

      entschuldigen Sie bitte, dass wir, iperdi HL GmbH, Sie auf diesem Wege kontakten. Es geht um Ihren ehemaligen Partner Herrn Bohle. Wir sind besorgt, da er sich nicht auf unsere Anrufe meldet und die Post, die an Ihre Adresse geschickt wird, zurück kommt.

      Wenn es nicht zu viel Mühe für Sie ist und Sie wissen, wo er abgeblieben ist und Sie es uns sagen mögen, wäre das sehr klasse. Sein Lohn liegt noch für ihn bereit und er braucht ihn doch.

      Bitte verzeihen Sie diese Art der Kontaktaufnahme, aber ich konnte keine Telefonnummer von Ihnen ausfindig machen.

      Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen bzgl. Ihrer Krankheit sehr gute Hilfe angedeiht und die Schübe weniger und weniger werden dürfen.

      Lieben Gruß und Dank im Voraus für Ihre kurze Rückantwort, wie auch immer sie aussehen mag.

      Anja Rohde
      Sachbearbeiterin
      iperdi HL GmbH, Flensburg
      Telefon: 0461-480 66 50

  5. nehmen Sie erstmal das angstverzerrte Bild von der Frau raus. Ist ja schrecklich. Das geht auch anders.
    Ein Bild wo man sieht dass der Patient ernstgenommen wird und aufgeklärt wird.

      1. Hallo jerry,
        na geht doch. Ich fand das erste Bild unmöglich ehrlich richtig gruselig auch wenn es uns allen wohl so ging.
        LG
        Klara
        PS: Übrigens so saß niemand bei mir bei der Diagnose

  6. Medizinethische Prinzipien sind in fast allen Kulturkreisen festgeschrieben worden. Die vier klassischen Prinzipien der Medizinethik unseres Kulturkreises wurden von Beauchamp und Childress 1977 folgendermaßen benannt: „Respekt vor der Autonomie der Patienten“, „Nicht-Schaden“, „Fürsorge und Hilfeleistung“ sowie „Gleichheit und Gerechtigkeit“. Jede ärztliche Behandlung setzt eine medizinethische Grundorientierung voraus, und Sie haben uns Ihre in diesem Beitrag sorgfältig erklärt: Das Patientenwohl rechtfertigt den Schaden durch die frühe Diagnosestellung der MS.

    Das Prinzip der Schadensvermeidung fordert, schädliche Eingriffe zu unterlassen, und es kann mit dem Fürsorgeprinzip, das den Behandler zum aktiven Handeln zugunsten der Patienten auffordert, in erheblichem Widerspruch stehen. Solchen Schaden erleiden heutzutage MS-Patienten nicht nur durch eine „brutale“ Diagnosemitteilung (oft unnötig, es gibt durchaus Regeln für die Mitteilung schwerwiegender Diagnosen, die das verbessern), sondern auch Nebenwirkungen von Medikamenten und soziale Nachteile infolge der extrem frühen Diagnose, u.a. weil Betroffenen ab diesem Moment keine Möglichkeiten der privaten finanziellen Vorsorge wie z.B. Berufsunfähigkeitsversicherungen mehr offen stehen.

    Das Prinzip von Fürsorge und Hilfeleistung enthält den Auftrag, im Sinne des Patientenwohls zu handeln. Es ist ein Prinzip, bei dem es um die individuelle Behandlungssituation geht, und um das individuelle Patientenwohl, das eigentlich nur der Patient kennt. Seine persönlichen Präferenzen sind ausschlaggebend.

    Respekt vor der Autonomie des Patienten erfordert die ausgewogene umfassende Aufklärung über alle Umstände, die den Patienten in seiner Entscheidung beeinflussen könnten. Es reicht nicht aus, dass der Arzt seine eigene Überzeugung darlegt, sondern er muss auch alle Alternativen erklären. Zudem muss er potentiellen Nutzen und potentiellen Schaden einer Therapie auf eine Weise darstellen, die die individuelle Wahrscheinlichkeit, aufgrund der Therapie Nutzen oder Schaden zu erleben, für Patienten deutlich macht. Auf MS übertragen würde das u.a. bedeuten, auch auf die Unsicherheiten der Datenlage zu Diagnosekriterien, prognostische Aussagekraft der MRT, Therapiebeginn, Therapiedauer und Langzeitergebnissen hinzuweisen.

    Gleichheit und Gerechtigkeit in der Behandlung ist in Zeiten knapper Ressourcen zu wahren. Schwer betroffene MS-Patienten kämpfen häufig mit Gesundheitsinstitutionen um wichtige rehabilitative Maßnahmen, während das Medikamentenbudget unerschöpflich zu sein scheint. Auch Zeit ist im häutigen Gesundheitswesen eine knappe Ressource.

    In Spagat zwischen den verschiedenen Anforderungen ist es für Neurologen sicher eine große Erleichterung, standardisierten Handlungsempfehlungen zu folgen. Meinem Eindruck nach kommen dabei die Gesichtspunkte der Patientenautonomie und der Gleichheit und Gerechtigkeit zu kurz, negative Auswirkungen auf Betroffene werden unterschätzt.

    1. Ich teile den Eindruck.

      Es dürfte aber so sein, dass die Neurologen jeweils überzeugt sind, ihr Handeln stets an diesen Prinzipien auszurichten, so gut es im Arbeitsalltag möglich ist. Sie sind felsenfest überzeugt, dass es für den Krankheitsverlauf günstig ist, sich jahre- oder auch jahrzehntelang nebenwirkungsreiche Interferone zu spritzen, deren Effekt auf die langfristige Behinderungsprogression höchst umstritten ist.

      Ob der Patient dies auch so sieht oder nicht, ist nachrangig, denn etwaige Zweifel beim Patienten auszuräumen und für Adhärenz zu sorgen, ist Aufgabe der MS-Nurse. Entscheidet sich der Patient trotzdem gegen die Therapie, gilt er als „nicht kooperativ“ und muss unter Umständen damit rechnen, künftig selbst bei akuten Schüben keinen Termin mehr zu bekommen.

  7. Sehr geehrter Herr Prof. Mäurer,

    vielen Dank für Ihr Engagement hier, wofür Sie sicher freie Zeit opfern müssen. Die Idee dieses Blogs finde ich sehr gut!
    Ich hoffe, daß Sie sich nicht abschrecken lassen durch abweichende Meinungen aus Patientensicht. Genau das ist meiner Meinung nach die Chance, die sich hier bietet. Finden doch beispielsweise hier im MS-Forum ganz andere Diskurse statt als etwa bei einem Arzttermin.
    Hier Beispiele für Fragen, für die es im Arztgespräch leider oft keine Zeit gibt:
    1. Langzeiteffekte der Basistherapie:
    Meines Wissens gibt es keine Studie, die nachweisen kann, daß ab 15 Jahren Krankheitsdauer behandelte MSler besser dastehen als Unbehandelte.
    Es herrscht meiner Meinung nach trotz dürftiger Studienlage in der Nerurologenschaft die einhellige Meinung, daß die Therapie (abgesehen von den Nebenwirkungen) „auf jeden Fall etwas bringt“, auch wenn das nicht direkt nachgewiesen werden kann. Innerhalb der Patientenschaft wird das alles viel kritischer gesehen. Am eigenen Leib wird erfahren, daß die Basistherapien bei einem Großteil der Patienten überhaupt nicht anschlagen und man dann beim Arzt oft hört: „Wer weiß, wie es Ihnen ohne ginge!“ (ein Totschlagargument, was den Patienten nicht zufrieden stellen kann.)

    2. „watchful waiting“:
    Mein Neurologe (der auch in der Forschung tätig ist), sagte bei mir nach Diagnostellung, daß man durchaus erst mal abwarten kann mit der Therapie und nach einem halben Jahr ein MRT machen kann und ich dann entscheide, ob ich eine Therapie will oder nicht. Ich habe dann später freiwillig jahrelang Copaxone genommen, bis ich das Spritzen nicht mehr wollte, und er sagte: „Bei Ihrem Verlauf kann man durchaus mal aufhören mit der Therapie und immer wieder mal ein MRT machen. So wünsche ich mir das Arzt-Patienten-Verhältnis: Auf Augenhöhe.
    (Er lag übrigens nicht ganz falsch mit seinen Ratschlägen: Nach 9 Jahren MS liegt mein EDSS immer noch bei 0-1, ganz ohne Therapie!)

    3. gutartige MS-Verläufe
    Sie werden im Arztgespräch kaum erwähnt und gehen auch nicht in Studienergebnisse ein: Wenn man zuwenig Schübe hat, kann man nicht in Medikamentenstudien eingeschlossen werden. Dementsprechend wird gar nicht erst untersucht, ob leicht Betroffene überhaupt von den Therapieen profitieren können.

    Mir würden noch viel mehr Fragen einfallen, die uns unter den Nägeln brennen – ich wäre dankbar, wenn Sie vielleicht mal in Ihrem Blog auf einzelen Anregungen eingehen könnten.
    Ich bedanke mich nochmals für Ihr Interesse und hoffe, daß Sie auch kontroverse Diskussionen nicht scheuen! (Denn die DMSG selbst interessiert sich offenbar leider nicht für die Themen, die das hauseigene Forum beherrschen)

    Viele Grüße,

    Ursula

    1. Liebe Ursula, sehr geehrter Prof. Mäurer,
      dem möchte ich mich inhaltlich voll anschließen. Nicht so sehr für mich selber, denn ich falle als langjähriger MSler sowieso vom Verlauf und dem Behinderungsstatus aus allen Therapieindikationen heraus.
      Werde aber oft genug von frisch Diagnostizierten um Rat bzw ein ‚offenes Ohr‘ angegangen. Und finde die wesentlichen Kernfragen in Deinem Text wunderbar klar angesprochen!

      Danke, mfG
      jerry

  8. Auch diesmal mag ich Ihnen, lieber Professor, leicht widersprechen, denn manchmal und da spreche ich auch von meiner Diagnose, kann die Nennung des „Feindes“ fast eine Erlösung sein! Wenn aus voller Gesundheit der Körper plötzlich spinnt, ist Klarheit das Einzige, das helfen kann und erlöst. Ich bin zwar gegen diese frühe und manchmal viel zu frühe Aussprache: „Sie haben MS“, aber wenn die Kriterien eindeutig sind, dann ist diese verpflichtend!
    Nicht befürworten kann ich die direkte und panikmachende Empfehlung sofort und unverzüglich mit einer Basistherapie zu beginnen, um „Schlimmeres zu verhindern“. Vielmehr wäre gute Beratung, Erfassung der Lebensumstände, der eigenen Situation wichtiger! Sein Leben zu verändern, ist oft die bessere Therapie.
    Ich selbst habe in den ersten Jahren alles gespritzt, infundiert und probiert, was der Markt hergab! Bis auf Nebenwirkungen kein Erfolg, verschenkte Zeit, vergeudete Energie. Erst nach Jahren habe ich endlich das gefunden,was wirklich hilft…nämlich die Aufgabe des Anspruchs immer weiter funktionieren zu müssen und Schwächen nicht zuzulassen. Ich habe meine Arbeit schmerzlich aufgegeben und meinen Tag der Erkrankung notwendigerweise angepasst. Viel zu spät und viel zu zögerlich, aber letztendlich dringend notwendig.
    Heute kann ich weder Laufen, noch habe Armkraft, mein Körpergefühl ist gleich null und Blase, Darm und Augen spielen neben einem starken chronischen Schmerzsyndrom verrückt.
    Ich wünschte, ich hätte die guten Zeiten zu Beginn der MS anders verbracht, als mit Spritzen und Infusionen! Aber…das war mir nicht vergönnt! Zumal meine damalige Neurologin perfekt das Spiel mit der Angst beherrschte.
    Ich wünsche allen Neubetroffenen einen guten Neurologen an ihrer Seite, der abseits von den Pharmawegen Lösungen, Möglichkeiten und Alternativen aufzeigt und behutsam mit seinen Patienten umgeht.

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